Ohne Remus?
Andy, der sanftmütige Android mit leichten Programmierungsfehlern, hat ein Faible, das ebenso zauberhaft wie nervig ist. Er erzählt gern flaue Weltraumwitze. Einer geht so: "You know the one about the claustrophobic Astronaut? He needed space." Ich habe keinen blassen Schimmer, wie der Synchronautor von „Alien: Romulus“, der heute bei uns startet, das wohl eingedeutscht hat.
Rain, Andys Adoptivschwester (ich nenne das mal so in Unkenntnis der Lebenswirklichkeit von Androiden), nimmt die Marotte seit Jahren geduldig hin. Sie kennt alle Pointen auswendig. Aber einmal, als sie schon alle Hoffnung aufgegeben hat, wünscht sie sich nichts mehr, als einen letzten Scherz von ihm zu hören. Es hat sie auf eine verlassene Raumstation verschlagen, die unglücklicherweise mit Face Huggers, Chest Bursters und Xenomorphen verseucht ist. Die Alien-Familie ist mithin in all ihren Entwicklungsstadien versammelt, und aus den früheren Filmen der Saga wissen wir, dass die keinen Spaß verstehen. In diesem Moment größter Aussichtslosigkeit also erzählt der wackere Bruder folgenden Scherz: "I once read a book in zero gravity. I couldn't put it down." Der stellt die Synchronisation vielleicht nicht vor ganz so große Herausforderungen. Vor allem aber bringt er Rain auf eine Idee. Ihr Blick fällt auf einen Schalter, mit dem sich zwischen Schwerkraft und Schwerelosigkeit wechseln lässt. Daraus entspinnt sich eine grandiose Choreographie des Überlebens, bei der Rain und Andy den schwebenden Xenomorphen nebst ihrem ätzenden Blut auszuweichen versuchen.
Das ist dann allerdings auch der Gipfel an Originalität, den Fede Alvarez' Reboot der betagten Reihe aufzuweisen hat. Und nicht von ungefähr sind die falschen Geschwister die interessantesten Charaktere im gesamten Film. Sie bilden ein Gespann, das mich ein wenig an Humphrey Bogart und Walter Brennan in Howard Hawks' "Haben und nicht haben" erinnert: eine Kameradschaft, die auf einer Langmut und Loyalität beruht, die niemand im Kosmos des Films versteht, bis Lauren Bacall auftaucht. Beide Allianzen sind mit dem Herzen und aus der Semantik geschmiedet; bei Hawks ist Brennans "Was you ever bit by a dead bee?" der maßgebliche Charaktertest. Der Vergleich scheint auf Anhieb und auch den zweiten Blick eine Spur zu wohlwollend, wenn man das bisherige Werk dieses jungen Regisseurs in den Blick nimmt. Gemeinsam mit seinem Jugendfreund und Co-Autor Rodo Sayagues hat er das Genrekino Hollywoods im letzten Jahrzehnt smart, ehrgeizig und ziemlich erbarmungslos aufgemischt. Alvarez stammt aus Uruguay, redet aber so, als habe er sein ganzes Leben in Los Angeles verbracht. Er bringt eine frische, jedoch mitnichten distanzierte Perspektive mit.
Ihre gemeinsamen Filme sind nichts für schwache Nerven. »Evil Dead«, das Reboot von Sam Raimis Gnaden, hat einen erklecklichen Body Count. »Don't breathe« ist beinahe ebenso rabiat. Die Zwei haben Spaß daran, wie gnadenlos die Mechanismen funktionieren. Aber insgeheim weisen ihre Genre-Etüden einen Bodensatz der Hoffnung auf. Ihre Heldinnen sind nämlich zu Fürsorge fähig. Sie zeigt sich in der von übernatürlichen Kräften bizarr aus der Bahn geworfenen Drogenentgiftung von „Evil Dead“ ebenso wie in der Loyalität, die die Anführerin der Einbrecherbande aus „Don't breathe“ für den zaudernden Dritten im Bunde empfindet, der zweifellos in sie verliebt ist. Wie in „Alien: Romulus“ sind die Heldinnen jugendliche Delinquenten mit zwiespältiger Agenda, die ihren Traum von einem anderswo erfüllen, aber auch niemanden zurücklassen wollen. In »Don't breathe«, der wie alle ihre Filme eine Kellermetaphorik des Unterbewussten ins Spiel bringt, tritt noch eine weitere Figur auf den Plan, die der Rettung bedarf. Das Duo konstruiert Horrorszenarien, in denen ein reines Herz schlägt. Nicht von ungefähr verdienen sich die schützenden Heldinnen ein Überlebensrecht. Dem Satz hätte ich wohl besser einen Spoiler Alert vorausschicken sollen. Gleichviel, wenn Rain zu ihrem Androiden-Bruder sagt „§ll fix you“, ist das ein belastbares Versprechen.
Wie wichtig dieses Motiv für den Regisseur ist, demonstriert auch »Verschwörung« (The Girl in the Spider's Web), seine Adaption der Fortschreibung der Millenium-Saga, bei der er mit anderen Autoren arbeitete. (darunter Steven Knight, von dem er einen Entwurf erbte). Da ist die ausgebliebene Fürsorge Lisbeth Salanders für ihre Schwester die Initialzündung der Intrige. Sie hat nichts unternommen, die Jüngere vor dem inzestuösen Begehren des Vaters zu beschützen. Wie könnte sie auch, sie war ein Kind damals. Als Erwachsen übt sie Vergeltung an der korrupten, perversen Männergesellschaft Schwedens. Aber ihre Schwester hat ihr nie verziehen. Im Audiokommentar zu »Verschwörung« beschwört Alvarez den Märchencharakter der Geschichte: zwei Prinzessinnen und der böse König. Er erklärt Schuld und Beschämung zu den Beweggründen des Films. Er ist fasziniert von den mythischen Quellen seiner Geschichten. Leider weiß er nicht immer, was er mit ihnen anfangen soll. Ich hoffe, dass »Alien: Romulus« folgenlos bleibt (die Kritik erscheint im nächsten Heft), aber ich bin gespannt, wie dieser Regisseur seine Themen weiterhin verfolgt.
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