Moderate Ausschweifungen

Ava Gardner machte sich wenig Illusionen über die Rolle, die sie in der Welt und insbesondere im Kinogeschäft spielte. Als ihr Joseph L. Mankiewicz die Titelrolle in „Die barfüßige Gräfin“ anbot, soll sie ihm geantwortet haben. „Zur Hölle, ich bin keine große Schauspielerin, aber ich verstehe dieses Mädchen. Sie ähnelt mir sehr..“

Die Rolle hatte er ihr, genauer: ihrer Legende, ohnehin auf den Leib geschrieben. Gardners Lebensstil war mindestens so skandalös wie der des fiktiven Filmstars Maria d'Amato (wobei ich nie verstanden habe, warum man es nicht bei deren viel prägnanteren Geburtsnamen Vargas beließ.) Auch privat trug sie Schuhwerk nur dann, wenn es unbedingt nötig war. Und Gardner war während ihrer Karriere auf wohlwollend fordernde Regisseure angewiesen, die ihre Qualitäten ebenso wie Bogart im Film zur Geltung bringen konnten.

Ich würde nicht behaupten, dass Gardner meine Lieblingsschauspielerin ist, aber mein bevorzugter Filmstar ist sie auf alle Fälle. Na, in dieser Unterscheidung steckt schon eine gewisse Ungerechtigkeit, obwohl sie ihren robusten Selbstzweifeln entspricht. Sie war eben nicht nur eine blutvolle Präsenz auf der Leinwand. Sie zog die Aufmerksamkeit der Kamera auf sich, aber konnte sie auch halten. Ihr Blick konnte weit über den betörenden Augenaufschlag hinaus Tiefe und Pathos gewinnen. Die Energie, mit der sie ihre Blicke herausfordernd zuwandte oder verzweifelt abwandte, blieb immer grandios rätselhaft. Henry King hatte das Gefühl, ihre „Seele zu photographieren“, als er ihre Abschiedsszene von Gregory Peck in „Schnee auf dem Kilimanjaro“ in nur einem Take drehte: Mit wenigen verhaltenen Gesten und heftig ausweichenden Blicken skizziert sie eine leidenschaftliche Frau, die am Unverständnis des Mannes innerlich zugrunde geht, ohne dabei eine Träne zu vergießen.

Mein Lieblingsfilm mit ihr ist „Knotenpunkt Bhowani“ von George Cukor, wo sie die fiebrige Gespaltenheit der Anglo-Inderin allein aus dem Wechselspiel zwischen lasziver Sinnlichkeit und strenger Körperdisziplin entstehen lässt. Mein Faible für sie verdankt sich mithin nicht nur ihrer Schönheit und prunkenden Sinnlichkeit. Aber mir imponiert eben auch, wie furchtlos sie das Mandat annahm, das skandalreiche Leben eines Stars zu führen, das die Ruchlosigkeit ihres Femme-Fatale-Images nicht imitieren musste, sondern eine eigene auratische Dichte besaß. Das Publikum spürte: Sie ist eine Frau, die nur sich selbst gehört, ein unkontrollierbares Wesen, das sich weigert, als Objekt von den Männern vereinnahmt zu werden.

Davon wird die Graphic Novel „Ava – Die barfüßige Gräfin“ von Ana Miralles und Emilio Ruiz getragen, die gerade bei Schreiber und Leser (in der Alles-Gute-Reihe) erschienen ist. Darin geht es allerdings tatsächlich um den Star, der nicht nur ein Leinwandgeschöpf ist, sondern auch ein Spielball der Publicity. Ava, die in Miralles' Strichführung meist wirklich wie sie selbst aussieht, befindet sich auf der Promo-Tour für den Titel stiftenden Film und Ruiz gelingt es, ihre Legende in einem Zeitraum von 48 Stunden zu bündeln, Es kommt nicht von ungefähr, dass ein spanisches Künstlergespann sich mit ihr beschäftigt und das Original bei Dargaud erschienen ist.

„Die barfüßige Gräfin“ war nirgendwo ein kapitaler Kassenerfolg, wurde aber von der französischen Kritik zum Mythos erhoben. Für Louis Malle gehörte der Filmstart neben der Niederlage von Dien Bien Phu zu den zwei einschneidenden Ereignissen des Jahres 1954. Seither erscheinen dort am laufenden Band Monographien oder Romane über sie; Xavier Giannoli hat einen pfiffigen Kurzfilm gedreht mit Mathieu Amalric als Journalisten, der verzweifelt versucht, ein Interview mit ihr zu führen und nie über die Sprechanlage ihres Domizils in London hinauskommt. Auf arte liefen gleich zwei Dokumentationen über sie, deren Schwerpunkt auf ihrer Beziehung zu Franco-Spanien liegt.

Diese beginnt 1951 ziemlich spektakulär mit den Dreharbeiten zu „Pandora und der Fliegende Holländer“, bei denen Gardner ihre Vorliebe für Matadore entwickelt. 1953/54 zieht sie zum ersten Mal nach Madrid, wo sie unter anderem Hemingway kennenlernt. In den katholischen Land nimmt sie sich Freiheiten heraus, die jeder Einheimischen verwehrt bleiben. Die in deftigem Schwarzweiß gedrehte Miniserie „Ardre Madrid“ wirft einen entschieden unkatholischen Blick auf ihre zweite Residenz in Madrid, als sie „55 Tage in Peking“ für Sam Bronston dreht. Später erscheinen dort auch ihre Memoiren und inzwischen gibt es spezielle Stadtpläne, mit denen man Madrid auf Avas Spuren erkunden kann.

Matadore sind in dem Album weit und breit keine zu sehen, denn die Geschichte spielt in Rio de Janeiro, der heikelsten Etappe ihrer Publicity-Tournee durch Südamerika. Auch Avas notorische Liederlichkeit hält sich in Grenzen, was nicht an der knappen Zeitspanne (der Originaltitel lautet Ava, Quarante-huit heures dans la vie d’Ava Gardner“), sondern der unvoreingenommenen Perspektive der Autoren liegt. Die größte Ausschweifung ihrer Heldin besteht in einem Wutanfall, bei dem ein, zwei Gläser zu Bruch gehen, sowie einem heimlichen Spaziergang am Strand, den Gardner und ihr Manager David Hanna im Schutz der Nacht unternehmen. Kapriziös ist eigentlich nur ihr Wunsch, in einem standesgemäßeren Hotel abzusteigen. Der Rahmen der Handlung ist historisch verbürgt (zumindest, sofern man Lee Servers Biographie „Ava“ Vertrauen schenken will). Einen Tag vor Gardners Ankunft hat der abgesetzte Präsident – er heißt Vargas, history imitates art – Selbstmord begangen und es herrscht entsprechende Unruhe im Land. Ava trotzt den Bedenken von United Artists und hält an dem Halt in Rio fest. Die Menge, die sie am Flughafen erwartet, ist außer Rand und Band. Ihre Begeisterung ist nachgerade furchterregend, aber Ava bahnt sich mutig – einer Frau werden sie schon nichts tun - den Weg durch das Getümmel. Der Auftakt besiegelt einen turbulenten Spießrutenlauf. Von dem Kopfhieb mit einem Schuh, durch den Ava den zögernden Taxifahrer auf Trab bringt, berichtet auch Server. Ihm zufolge fand auch der nächtliche Spaziergang statt, der hier allerdings nicht auf einem Wochenmarkt endet, sondern der feuchtfröhlichen Begegnung mit einem alten Kutscher, der entzückt ist, dass Ava auf Portugiesisch mit ihm plaudert. Auch der Hotelwechsel ist verbrieft. Dass ihr während des kurzen Aufenthaltes des nachts der eifersüchtige Howard Hughes auflauert, scheint mir eine blanke Erfindung zu sein. Tatsächlich stellte ihr der Millionär und zeitweilige RKO-Eigentümer jahrzehntelang nach. Fürwahr, Miralles-Ruiz haben ihre Legende genau studiert.

Die Zeichnerin hat ein besonderes Gespür für weibliche Schönheit, deren Stärke und Ausdruckskraft (ich bezweifle indes, dass Gardner damals so gertenschlank war) sowie für urbane Architektur, die hier diskret, aber atmosphärisch in Szene gesetzt ist. Das Ambiente ist magisch aufgeladen – bisweilen glaubt Ava, ihre große Liebe Frank Sinatra vor Augen zu haben-, Ruiz flicht agil eine träumerische Rückblende in ihre arme, glückliche Kindheit in North Carolina ein. Ansonsten bleibt der Stil realistisch und die Erzählung entschlossen gegenwärtig. Die zwei Tage in Rio wachsen sich zu einem PR-Desaster aus. Die Presse ist empört über ihre vermeintliche Unnahbarkeit, eine flugs anberaumte Konferenz hilft wenig. United Artists sind mal begeistert, mal beunruhigt. Es gibt eben doch so etwas wie schlechte Publicity. Die Premiere spielt keine Rolle mehr. Derweil dreht ihr der erste, gekränkte Hotelbesitzer einen Strick und ihre Assistentin gerät in die Fänge eines Anarchisten, der sie erpressen will. Im Kern erzählen Miralles und Ruiz davon, wie jemand ins Räderwerk gerät - nicht ganz ohne eigenes Zutun, aber letztlich unschuldig. Als Opfer taugt eine wie Ava nicht. Vielmehr hat die Barfüßige im Finale der brasilianischen Eskapade das heitere Nachsehen.

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