Hoffen auf ein Osterwunder
Ich hatte mit einem anderen Empfang gerechnet. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich die Intensivstation überhaupt betreten durfte, denn ich bin kein Angehöriger. Nach Corona, so vermuteten wir, würden strengere Regeln gelten. Im Klinikum jedoch schlug uns ein ernstes, warmes Willkommen entgegen: "Schön, dass Sie da sind."
Wir hörten es mehr als einmal. Der Arzt, der uns über Heikos Zustand aufklärte, führte die fünf Worte ebenso im Mund wie die Pflegerinnen, die sich um ihn kümmern. Bestimmt wird das Personal in der Intensivmedizin ganz genau darin geschult, wie es mit Angehörigen umgehen soll. Aber das schließt nicht aus, dass ihre Worte mit Herzlichkeit erfüllt sind. Die fünf Worte tun uns gut. Sie schließen Elke und mich mit ein: Unsere Anwesenheit soll zu seiner Genesung beitragen, sie ist ein wichtiger Teil der Anstrengungen, die zu seiner Rettung unternommen werden.
Wir hatten keine Ahnung, wie krank Heiko wirklich ist. Die letzten drei Wochen glaubte er, unter einer schweren Bronchitis zu leiden. Er fühlte sich schlapp, hatte keinen Appetit, verlor zum Abend hin seine Stimme. Vor zwei Wochen schauten wir uns zwei Filme an, die ich aus Berlin mitgebracht hatte (darunter ein früher Preminger, den er noch nicht kannte) und mir fiel auf, wie schmal sein Gesicht geworden war. Elke, seine Frau, versuchte ihn zu einem Arztbesuch zu bewegen. Als ich ihn am Dienstag anrief, verschob er den auf die Tage nach Ostern. Ich schlug vor, am Wochenende gemeinsam »Once upon a time … in Hollywood« anzuschauen, den ich für einen Artikel noch einmal sehen wollte. Für ihn ist das einer der schönsten Filme über Freundschaft, aber er winkte ab. Mit ihm sei nicht so viel los, ich solle ruhig in Berlin bleiben. Am Mittwoch morgen rief Elke dann einen Arzt, der eine Lungenentzündung feststellte. Ein Notarztwagen brachte ihn ins Krankenhaus. Dort erfuhr Elke, dass die Lunge nicht das wahre Problem ist, sondern sein Herz, das nur noch eine Kapazität von zehn Prozent hat. Er wurde ins künstliche Koma versetzt. Elke bereitete mich auf den Anblick vor, der sich mir am Donnerstag bot. Heiko ist an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Die Krankenschwester erklärte uns die Funktion jeder einzelnen der 14 Infusionen, mit denen sein Körper versorgt wird. Sie bilden den Faden, an dem sein Leben nun hängt.
Er muss Filmmusik hören, schoss mir durch den Kopf. Elke ergänzte augenblicklich: von Jerry Goldsmith, seinem Lieblingskomponisten. Wir haben uns schnell aufeinander eingespielt, ziehen an einem Strang. Die Situation überfordert uns beide komplett. Wie können einfach nicht fassen, wie schnell das alles geht. Vor drei, vier Tagen machten wir uns Sorgen. Nun haben wir Angst.
Dass ich den alten Ghettoblaster meines Vaters mitbringe, amüsiert die Schwestern zuerst. Aber wie gut, dass ich ihn nicht ausrangiert habe. Er erfüllt zuverlässig seinen Zweck, jetzt spielt er die Soundtracks von "Big Wednesday (zugegeben, nicht von Goldsmith, aber einem seiner Schüler, Basil Poledouris) ", "The River Wild", "The Medicine Man" und den schwungvollen zu "The Ballad of Cable Hogue". Den Text des Titelsongs habe ich nun ständig im Ohr: „Tomorrow is the song I sing“. Die Ärzte machen uns keine falschen Hoffnungen: Es müsste ein Wunder geschehen. Ein Osterwunder, sagt Elke. Davon versteht sie viel; schließlich ist sie Pastorin. Ich denke oft an den Moment in „Red River“, als John Wayne vor dem Viehtrieb sagt "Wir wollen's Beste hoffen" und Montgomery Clift ihn beim Aufstehen stützt. Heiko liebt Howard Hawks' Kino ungeheuer; er fühlt sich wohl in dessen Universum der lakonischen Professionalität.
Nun wird er von lauter Profis umsorgt. Beim Pflegepersonal und den Ärzten wissen wir ihn in guten Händen. Das ist keine Garantie, aber ihre Erfahrung ein unermesslicher Trost. Schön, dass sie für ihn da sind..
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