Eine andere Emotion

Gestern feierte »Joker – Folie à Deux« in Venedig Premiere. Die Ovationen dauerten elf Minuten, was wohl im oberen Mittelfeld der Feststimmung zu verorten ist. Die Reaktion der internationalen Filmkritik ist hingegen durchwachsen. Todd Phillips' Sequel gibt ihr Rätsel auf, von denen das niederschmetterndste lautet, ob es denn mit Absicht so schlecht sei? Das Original allerdings lieferte mir die Antwort auf eine Frage, die mich Jahrzehnte lang beschäftigte.

Auf Irritationen stieß 2019 indes bereits der erste Teil, anfänglich und später erst recht, wie Barbara Schweizerhof in ihrer Kritik seinerzeit darlegte. Fürwahr, was sollte ein ausgewiesener Spezialist für Charakterslapstick um Männer, die nicht erwachsen werden wollen, denn wohl mit der düsteren Titelfigur anfangen können? Immerhin genug, um einen Goldenen Löwen sowie mehrere Oscars zu erringen und eine Milliarde Dollar in die Kassen von Warner Bros zu spülen. Die kostbarsten Triumphe sind immer noch die unverhofften. Schließlich war das kein waschechter Superhelden-Film, sondern dessen depressives Gegenteil: ein Anti-Batman aus dem Geist von »Taxi Driver« und »The King of Comedy« . Es schadete diesem kulturellen Phänomen bestimmt auch nicht, dass im wirklichen Leben gerade Böse Clowns ins Weiße Haus und die Downing Street No.10 eingezogen waren.

Mit dem Joker der DC-Hefte und den bisherigen Verfilmungen hatte dieser praktisch nichts gemein. Sein Clownsgesicht verdankt sich keiner physischen Entstellung (durch Chemikalien oder Messerattacken), sondern ist geschminkt. Er heißt erstmals Arthur Fleck (ein Name, den sich auch Mel Brooks oder zumindest Woody Allen hätten ausdenken können) und ist ein urbanes Würstchen, das von einer Karriere als Komiker träumt. Sein Humor ist mitnichten eine Superwaffe. "Don't you have to be funny to be a comedian?" fragt Arthurs Mutter ihn verdutzt. Ansteckend wirkt sein Witz bei keinem seiner Auftritte, vielmehr wird er zunehmend ein Ziel des Spottes. Am empfindlichsten trifft Arthur natürlich, dass sein Idol, der Fernsehmoderator Murray Franklin (Robert De Niro übernimmt hierbei den Jerry-Lewis-Part aus »The King of Comedy«), ihn vor laufender Kamera veralbert. "Funny" wird zu einem Schlüsselwort, das der Film in zahlreichen, unweigerlich entmutigenden Varianten durch buchstabiert. Dass einem das Lachen vergeht bzw. sich nie einstellt, hat wesentlich mit der Besetzung zu tun. Joaquin Phoenix spielt Arthur als einen gottverlassenen Bruder des urbanen Vigilanten Travis Bickle, dem er sich auch in seiner abgemagerten Gestalt annähert. Einmal imitiert er dessen fingierten Schluss an die Schläfe, später bereitet er sich dann wie Rupert Pupkin in »King of Comedy« auf die Plaudereien mit dem Talkshowmoderator vor. Der erfolgsverwöhnte Murray wiederum ist auch kein Genie des Witzes ("Super rats"/ "Super cats") und es ist ein smarter Besetzungscoup, dass ihn der ausgesprochen humorlose De Niro spielt.

Hier wären wir nun bei der Antwort, von der ich eingangs schrieb. Das dazugehörige Rätsel geht auf ein Interview zurück, bei dem Sidney Lumet mir einmal seine Auffassung der Komödie erklärte. "Meist hält man den Humor für eine Art Erleichterung, für eine Entlastung vom Druck der Gefühle", sagte er damals und fuhrt fort: "Ich sehe den Humor als ein Gefühl an, als eine Emotion wie andere auch." Ganz begriffen hatte ich das nie, ich gehörte immer eher der Entlastungsfraktion an. Als ich »Joker« zum ersten Mal sah, fing ich an, Lumet zu verstehen. Bei Phillips ist der Humor eine Belastung, eine existenzielle Zumutung, ja ein Fluch. Erinnern Sie sich an die Kärtchen, die Arthur in der Subway verteilt? Auf ihnen entschuldigt er sich für sein Lachen, das ein unkontrollierbarer Impuls ist: eine "psychological condition". Der Humor ist eine sozusagen abnorme, gefährliche, zerstörerische, gar todbringende Emotion. "Ich dachte immer, mein Leben sei eine Tragödie, aber nun begreife ich, dass es eine verdammte Komödie ist", räsoniert Arthur, als er seine Mutter im Krankenhausbett erstickt.

Diesem nihilistischen Begriff von Komik stehen in »Joker« keine einnehmenden, aufbauenden Emotionen entgegen. Arthurs patente Nachbarin (Zazie Beetz) ist ein Geschöpf seiner Phantasie. Die zwanghafte Fröhlichkeit der Lieder, die erklingen (Charlie Chaplins »Smile« in der Version von Jimmy Durante etc.) und die telegene Sentimentalität, die zu Murrays Geschäftsmodell gehört, sind vulgäre Kehrseite von Emotionen. Sondheims "Send in the clowns" ist hier ein Menetekel. "Happy" ist das zweite, ebenso niederschmetternde Schlüsselwort des Films. Halt gibt das dem Publikum nicht. In Gotham City herrschen Verheerungen, Verzweiflung und namenloser Zorn. Phillips' Autopsie des Humors hat also eine soziale Komponente. Sein Sequel gibt sich als waschechtes Musical zu erkennen. Der böse Clown ist nicht mehr allein, er singt sich die Depression im Duett mit Lady Gaga vom Leib. Auch das könnte eine heillose Phantasie sein. Ich bin gespannt. Aber nicht frohgemut.

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