Die Augen des Mittelmeers

Nach Ende der Dreharbeiten zu »Der Leopard«, schreibt Claudia Cardinale in ihren Memoiren, hatte sich ihr Blick unwiderruflich verändert. Er war nicht mehr vage, unbestimmt und flüchtig. Er hatte seine Schüchternheit verloren, nun traute sie sich zu, ihre Mitspieler zu fixieren: fester, fordernder. Davor erschien ihr diese Beharrlichkeit unverschämt, aber Luchino Visconti verpflichtete sie dazu.

Ihr Regisseur lehrte sie, nicht mit den Augen zu lachen – deren Ausdruck sollte ernst und dunkel bleiben. Er hielt sie an, die Brauen hochzuziehen. Davon, heißt es in »Mes étoiles«, habe sie eine Falte über der Nasenwurzel zurückbehalten. Stolz nennt sie sie "ma signature Visconti". Ihre Augen denken fortan mit. Sie schaut und begreift, wovon die Filme handeln; bei Visconti beispielsweise von Verdammnis. Ganz stimmt diese Geschichte übrigens nicht, denn jene anmutige Furche zwischen den Augen ist schon in »I delfini« einige Jahre zuvor zu sehen.

Die Szenenfotos im Programmheft des Arsenal sind, angefangen mit dem Cover, das die Spiegelszene aus „Die Gleichgültigen zeigt, klug gewählt. Stets erfassen sie die Schauspielerin im Prozess des Schauens. Das tollste stammt aus »Sandra« (ebenfalls von Visconti), wo ihre Augen fast stechend im Schatten ihrer breiten Hutkrempe aufleuchten. In »I delfini« geht ihr Blick fragend zur Seite; er demonstriert ihre Einsamkeit inmitten der Welt der Caféhaus-Gesellschaft. In »Cartouche, der Bandit« ist er auffordernd, aber nicht provozierend. In „Spiel mir das Lied vom Tod“ blickt sie lächelnd auf das Treiben in Sweetwater, die Boomtown am Eisenbahnstrang, die sie tatkräftig zu ihrem Zuhause machen wird. Die gesenkten Lider in »Bel Antonio« widersprechen dem Prinzip nicht, im Gegenteil. Cardinales Ausweichen ist entschlossen.

Ihr Blick ist nicht nur Wahrnehmung, sondern innige Kontemplation. Wenn sie dabei die Wange oder Kinn leicht auf der Hand ruhen lässt, sie gestisch wiegen lässt, unterstreicht eine Aufmerksamkeit, die gleichermaßen konzentriert wie entspannt wirkt. In ihren ersten Filmen, schreibt sie in ihren Lebenserinnerungen, sie sie nurmehr Zuschauerin gewesen, passiv und abwartend. Eine wichtige Wegmarke dieser Entwicklung ist »Un maledetto imbroglio« (Unter glatter Haut, 1959) von Pietro Germi. Noch einer, der die Messlatte höher anlegte, mit großer, verschwiegener Strenge. Ihre Rolle ist als römisches Zimmermädchen, das mit den Händen spricht, ist nicht groß. Aber Pier Paolo Pasolini fällt sie auf. Seine Kritik des gleichsam linguistischen Kriminalfilm, in dem Herkunft und Mundart der Verdächtigen den ermittelnden Kommissar auf die entscheidende Spur bringen, basiert ganz auf der Erkundung ihrer Augen. Das Programmheft zitiert aus »Mes étoiles«: "Ich besäße eine Art zu beobachten, schrieb er, die allein mir zu eigen ist, zu drei Vierteln aus dem Augenwinkel heraus." Pasolini lobte den Film zwar eher widerwillig, aber er wird nicht ohne Einfluss auf sein eigenes Schaffen bleiben. Warum nur haben er und Cardinale nie zusammen einen Film gemacht?

Um die Schönheit einer Schauspielerin zu preisen, schreiben wir Kritiker oft über denen hohe Wangenknochen. Diese gebieten nur zum Teil über die Anmut von Cardinales Gesicht. Ihre großen, dunklen Augen sind freilich nicht nur Attribut, sondern ein Instrument. Dieses ist vollumfänglich präsent in der Retrospektive, obwohl sie nur bis ins Jahr 1971 reicht. Ihr Blick während des Balls in „Der Leopard“ ist hellsichtig, ihre Augen erahnen, ja besiegeln, dass die alte Gesellschaftsordnung Siziliens in den letzten Zügen liegt. Die Selbstbefragung vor dem Spiegel in »Die Gleichgültigen« markiert einen Moment der existenziellen Erschöpfung und Ratlosigkeit. Sie muss dem schneidenden, zudringlichen Blick Rod Steigers widerstehen, der mal der Liebhaber ihrer Mutter war (und dies wohl sporadisch weiterhin ist). Ihr Blick ist außerordentlich in diesem Film. Sie begegnet dem ruppigen Steiger voller Misstrauen, mustert ihn abwartend, abwägend. Retten wird sie diese Skepsis nicht, während Fuscos Musik vom Zerrinnen der Verhältnisse kündet und später von vergeblicher Aufruhr. Cardinale hat einen weiten Weg zurückgelegt seit ihrem ersten Film mit Maselli, »I delfini«, der allerdings ebenfalls bereits in Resignation mündet. Die Schlussszene im Café ist magistral in ihrer Blickinszenierung. Sergio Fantoni, der aufrechte Arzt, mit dem sie glücklicher werden könnte, fühlt sich von ihm gemeint. Aber sie geht an ihm vorüber, ohne ihn wahrzunehmen und steuert auf Tomas Milian zu. Nein, die Falte zwischen ihren Augen ist nicht Viscontis Signatur, sondern die der Schauspielerin selbst.

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