Das Offizielle und das Private - Alles Gute für 2024!
Das Feuerwerk ist ein Farbenrausch mit Ansage. In ihm verdichten sich Freude, Begehren, psychologische Spannungen oder auch Täuschung, Augenschein. Es zieht sämtliche Aufmerksamkeit auf sich. Sean Connery dient es in »Der große Eisenbahnraub« als ein Ablenkungsmanöver, in dessen Schutz er unbemerkt seinen Raubzug vorbereiten kann.
Es ist ein Fest, das auch zur Drohkulisse werden kann wie etwa in »Kap der Angst«, wo Robert De Niro feist auf einer Mauer sitzt und im Gewitter der Feuerwerkskörper seinen Opfern auflauert. (Martin Scorseses Editorin Thelma Schoonmaker erzählte mir einmal, die Sequenz sei unmittelbar von Powell &Pressburgers »Das scharlachrote Siegel« inspiriert.) Der Schritt vom Feuerwerk zur Waffe ist im Kino oft nicht weit. In „Mary Poppins“ ist das sogar ziemlich ulkig. Aber schon als Metapher kann er Angst einflößen. In »Calabuig« / »Calabuch« von Luis Berlanga zieht sich ein ehemaliger Atomphysiker in eine spanische Kleinstadt zurück, wo er nun Raketen fürs Sommerfest entwickelt.
Friedlicher, aber nicht weniger unverfänglich geht es in »Über den Dächern von Nizza« zu. Hitchcock und sein Drehbuchautor John Michael Hayes entfachen listig ein Feuerwerk der Doppeldeutigkeiten. Das bunte Spektakel im Hintergrund besiegelt das Spiel von Verführung und Argwohn, das sich zwischen Cary Grant und Grace Kelly entspinnt. Eines der erlesensten Kinofeuerwerke überhaupt, aber seiner Romantik ist mindestens ein weiterer Boden eingezogen. Ist das betörende Aufglühen im Hintergrund nicht auch eine Metapher für die Flüchtigkeit ihrer Gefühle? Gleichviel, als Aphrodisiakum wirkt das Feuerwerk immer wieder im Kino, beispielsweise in »Die Frau des Leuchtturmwärters« oder in »Der Tölpel vom Dienst«, wo für Jerry Lewis nach dem ersten Kuss der Himmel explodiert wie beim 4. Juli.
Seit »Meet me in St.Louis« bildet das Feuerwerk häufig den krönenden Abschluss von Filmen über Weltausstellungen. Tatsächlich ist es ein kinematographisches Phänomen, das den gesamten Globus umspannt. In China, wo das Feuerwerk während der Song-Dynastie erfunden wurde, ist es aus dem Kino nicht wegzudenken. In den Historienspektakeln von Zhang Yimou und Chen Kaige hat es zuverlässig seinen Auftritt ebenso wie in der nahen Zeitgeschichte von »Bis dann mein Sohn« und Gegenwart des Jia Zhang-ke. Einer der schönsten Filmtitel schlechthin, »Feuerwerk am helllichten Tag«, unterstreicht, wie innig das Verhältnis der Chinesen zum „Rauchlicht“ bzw. »Blumenfeuer« ist. Letzteres ist ein gutes Stichwort, um zu »Hana Bi – Feuerblume« des Japaners Takeshi Kitano hinüber zu schwenken, wo am Ende ebenfalls ein Feuer bei Tageslicht entfacht wird, in der wehmütigen Schlusssequenz am Strand. Dass es in Indien ein großes Thema ist, rückten im November Zeitungsberichte über ein Feuerwerk in Erinnerung, das Fans des Schauspielers Salman Khan vor Beginn einer Vorführung seines neuen Films im Kinosaal entfachten. Aber auch auf der Leinwand spielt es eine zentrale Rolle, zumal bei Satyajit Ray (etwa im 2. Teil der Apu-Trilogie sowie in »Das Musikzimmer«). Dieses indische Faszinosum zeigt Jean Renoir aus europäischer Perspektive in »Der Fluss«.
Im Nahen und Mittleren Osten ist es ein prominentes Motiv, beispielsweise in »Lemon Tree« oder unlängst in »Der Mann, der seine Haut verkaufte«. Das gilt erst recht für Ashgar Farhadi, in dessen »Fireworks Wednesday« (ein wunderschöner Titel nicht nur in diesem Zusammenhang, bei uns heißt er »Feuerzauber«) sich familiäre Konflikte in den Feierlichkeiten des iranischen Neujahrsfestes Nouroz spiegeln.
In Italien, wo das Feuerwerk im 14. Jahrhundert erstmals in Europa heimisch wurde, spielt es eine verblüffend untergeordnete Rolle (»Liebe, Brot und Fantasie« sowie Ermanno Olmis »Der Job« fallen mir auf Anhieb ein – warum nur konnte Fellini so wenig mit diesem Spektakel anfangen?).
In Großbritannien spielt es eine paradox staatstragende Rolle. Dort wird am 5. November der Guy Fawkes Day gefeiert, der an den Anschlag auf King James und das Parlament erinnert. Fürwahr, ein erstaunlicher Anlass für ein nationales Freudenfeuer! Ridley Scott wollte zu Beginn seiner Filmkarriere ein Drehbuch über diesen »The Gunpowder Plot« verfilmen, drehte dann aber »Die Duellisten«, welche sich mit geringerem Budget realisieren ließen. Auf das ursprüngliche Projekt wäre ich schon gespannt gewesen. Immerhin gibt es, wenn ich mich recht erinnere, ein anarchisches Nachbeben in »V for Vendetta«.
Für Deutschland fallen mir, abgesehen von Kurt Hoffmanns »Feuerwerk«, kaum ein Beispiele ein - kurios, wo es doch die Phantasie von Adorno und Max Weber nachhaltig beschäftigte und wo ihm immerhin eine große "Noblesse" zugeschrieben wurde. Womit wir bei Frankreich wären, wo es zunächst ein höfisches Privileg ist (kaum ein Versailles-Film kommt ohne aus), das sich bald auf die Aristokratie (es macht sich auch über der Silhouette kleinerer Schlösser gut) und allmählich aufs Bürgertum (die Hochzeit in »Das Leben ist ein Fest«) überträgt; auch die Außenseiter der Gesellschaft haben ein Anrecht darauf, namentlich »Die Liebenden vom Pont-Neuf«. Die Feiern zum 14. Juli sind nach Monsieur Hulots Malheur von erstaunlich geringem kinematographischen Belang – eigentlich könnten sie als Manifestation nationalen Selbstbewusstseins weit präsenter sein. Ein Nachtrag. Sind sie auch, zu Beginn von "Paradis Perdu" von Abel Gance beispielsweise.
Ganz anders verhält es sich in den Vereinigten Staaten. Im US-Kino werden die mit Abstand meisten Feuerwerke zum Unabhängigkeitstag gezündet. Zu den erwähnenswerten Ausnahmen zählt das triumphale Sprühfeuer, mit dem Barry Levinson am Ende von »Der Unbeugsame« den Home Run von Robert Redford feiert. In »Gangs of New York« wird die Proklamation der Sklavenbefreiung mit einem Feuerwerksgerüst zelebriert, auf dem Lincolns Antlitz funkelt: eine Leuchtreklame für die Demokratie.
Der 4. Juli hingegen steht im Kino in der spannungsvollen Ambivalenz von Affirmation und Entzauberung. »Avalon« von Barry Levinson beginnt mit der Erzählung des Einwanderers Armin Müller-Stahl, der 1914 in Baltimore pünktlich zum Unabhängigkeitstag ankommt. Überall sprüht und glitzert es in der Stadt, was sich in seiner Erinnerung auch mit einer Allgegenwart der Elektrizität verbindet, wie er sie aus der Alten Welt nicht kannte. Er darf sich willkommen fühlen in seiner neuen Heimat. Von einer sehr amerikanischen Initiation erzählt auch Lawrence Kasdan in »Wyatt Earp«. Kevin Costner wächst am Unabhängigkeitstag in die Rolle des Gesetzeshüters hinein. Zuvor hat er einen Ganoven noch ohne Colt entwaffnet, nun aber nimmt ihn die Faszination des six shooters in Besitz. Er richtet ihn in den Himmel, an dem Rot, Weiß und Blau explodieren. In Brian De Palmas Paranoiathriller »Blow Out« wird das funkensprühende Symbol der USA ebenfalls zur Zielscheibe. Das niederschmetternde Finale ist in diesem Zusammenhang eine der Anthologieszenen schlechthin. Eingangs ist das Feuerwerk nur als pulsierender Widerschein zu sehen, als John Travolta versucht, ein Attentat zu verhindern. Dann, im Zeichen der Katastrophe, zeigt De Palma das Feuerwerk endlich direkt. Die US-Geschichte wird, so oder so, mit Feuer geschrieben.
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