Dioskuren

Jane Fonda in »Grace And Frankie« Staffel 5. Foto: Ali Goldstein / Netflix

Am Wochenende konnte man beim Blick in amerikanische Zeitungen den Eindruck gewinnen, die Uhr hätte sich zurückgedreht in die frühen 1970er Jahre. Jane Fonda demonstrierte in Washington und Studenten protestierten gegen John Wayne. Sogar der Sender, der die Bilder von Fondas Verhaftung vor dem Capitol ausstrahlte, trägt den Namen eines verblichenen Films aus jener Epoche, WUSA.

Selbst im Frühstücksfernsehen der ARD nahm man erstaunt Notiz von Fondas Protest gegen den Klimawandel; die Moderatorin musste sich erklären lassen, dass die Schauspielerin ja auch in der Vergangenheit schon politisch aktiv war. John Wayne wiederum wurde vier Jahrzehnte nach seinem Tod erneut zum Zankapfel, weil Aktivisten von der University of Southern California fordern, dass eine Ausstellung mit Memorabilia des Absolventen entfernt wird. Seit vor einiger Zeit ein Interview wieder auftauchte, in dem der Schauspieler dem »Playboy« in den frühen 70ern rassistische und homophobe Äußerungen zu Protokoll gab, ist bereits die Forderung laut geworden, den nach ihm benannten Flughafen umzutaufen.

Beide Nachrichten habe ich mit gespaltenen Gefühlen registriert, wenngleich auf je unterschiedliche Weise. Fondas Aktion war gut vorbereitet – ihre Verhaftung hatte sie eingeplant, ich weiß allerdings nicht, ob dass auch für die weiteren 15 Inhaftierten gilt. Dass sie mit ihrem Protest abwartete, bis sie die jüngste Staffel ihrer Serie »Grace and Frankie« abgdreht war, mindert dessen Aufrichtigkeit nicht. Sie ist keine Schülerin, die sich die Freitage für Demonstrationen freinimmt wie ihr Vorbild Greta Thunberg. Diese Dynamik finde ich hinreißend: ein moderner Generationenvertrag. Fonda hat, wie schon oft, das getan, was nötig und richtig ist. Im Gegenzug könnte man sagen, dass Wayne immer getan hat, was er für richtig hielt.

Die Forderung der Studenten, die Ausstellung zu entfernen, kann ich nachvollziehen. Wayne war ein prominenter, aber wohl nicht unbedingt ruhmreicher Alumnus der USC; er glänzte dort vor allem im Footballteam. Seine paternalistischen Ansichten zur mangelnden Reife von Afro-Amerikanern sind nicht hinnehmbar. Das waren sie auch auch damals nicht, in dem Jahrzehnt, das auf die erbittertsten Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung folgten. Was die Umbenennung des Flughafens angeht, habe ich mir noch keine endgültige Meinung gebildet. Als der für mehrere Jahrzehnte größte Kassenmagnet Hollywoods hat er maßgeblich zu Mythos und Ökonomie der Stadt Los Angeles beigetragen. (Im Gegensatz zu Donald Trump, dessen Unternehmungen ruinös für die Staten New York und New Jersey waren. Und wo wir gerade bei dem sind: Waynes Tochter Aissa ist überzeugt, dass ihr Vater dessen Wahlkampf unterstützt hätte, ihr Bruder Ethan widerspricht ihr vehement.) Vielleicht sollte man sich erst einmal die US-Flughäfen vorknöpfen, die nach Kriegsverbrechern benannt sind.

Fonda und Wayne werden seit Jahrzehnten als Antagonisten gehandelt. Vor ein paar Monaten erst las ich einen Artikel in der ansonsten exzellenten Zeitschrift »Positif«, der diese Litanei treuherzig nachbetet. Selbstverständlich standen sie politisch in verfeindeten Lagern. Aber ihr Verhältnis, als private wie als öffentliche Personen, ist komplizierter. Das liegt weniger in Janes Herkunft begründet. Wayne gehörte zu den engsten Vertrauten ihres Vaters Henry, der, obzwar ein aufrechter Hollywood-Liberaler, durchaus bereit war, Freundschaften zu Konservativen wie Jimmy Stewart zu pflegen. Mir ist lebhaft die Schilderung einer Begegnung von Wayne und Jane Fonda in Erinnerung, die Ende der 1960er während eines Banketts in Hollywood stattfand. Bei dieser Festivität stand Wayne von seinem Tisch auf, um Fonda und ihre Freundin Vanessa Redgrave an deren Tisch anzusprechen. Augenblicklich wurde er von der britischen Schauspielerin und ihrer Entourage beschimpft – sein tumb patriotischer Vietnamfilm »Die grünen Teufel« hatte schließlich seine Gesinnung gerade erst wieder unter Beweis gestellt. Wayne blieb gefasst angesichts der Tirade und sagte, bevor er sich verabschiedete, zu Redgrave : »Ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen, wie sehr ich Sie in 'Isadora' bewundert habe.«

Waynes Widersprüchlichkeit hat mich seit jeher fasziniert: Für mich ist er ein whitmanscher Charakter. Liest man Scott Eymans Biographie des Schauspielers, tritt auch ferüttelt Maß an Selbstironie in der Begegnung mit politischen Widersachern zutage: »We don't like Democrats here«, sagte er einmal zu einem ausgewiesen liberalen Schauspieler, den er vom Flughafen abholte und zum Set brachte, wobei das Augenzwinkern des Republikaners mehr als nur die Pointe der Anekdote ist. Eine überraschende Erkenntnis, die ich aus dem Buch gewann, war die Belesenheit des Schauspielers. Das macht ihn nicht automatisch zu einem Intellektuellen oder lernfähigen Konservativen, wurde in Hollywood aber gar nicht so gern gesehen - man denke nur daran, wie sorgsam John Ford vermied, von einem Produzenten oder Studiochef mit einem Buch in der Hand erwischt zu werden. Seinen letzten öffentlichen Auftritt vor seinem Krebstod hatte Wayne bei der Oscar-Verleihung 1979, als er den Preis für den besten Film ausgerechnet an das revisionistische Vietnamdrama »Die durch die Hölle gehen« vergeben musste. Er tat es mit jener Würde, die er selbst und das Publikum von ihm erwarteten.

Whitmans Apologie der Widersprüchlichkeit, »I am large, I contain multitudes«, lässt sich mit gleichem Recht auf Fonda beziehen. Ich stand ihr zugegebenermaßen stets ein wenig skeptisch gegenüber. Bei aller Bestimmtheit, mit der sie ihre politischen Positionen vertrat, eignete ihr doch etwas Chamäleonhaftes: Ihre Haltung wandelte sich regelmäßig im Schlepptau ihrer Ehen. Zwischen Roger Vadim, Tom Hayden und Ted Turner klafften erhebliche ideologische Abgründe. Um es ins Positive zu wenden: Sie hat sich jedesmal neu erfunden. Angesichts des Preises, den Hanoi Jane beruflich und privat für ihr Engagement ohne Zweifel zahlen musste, gebührt ihr große Bewunderung. Sie hat sich ausdauernde Feindseligkeit erstritten; bis heute. Ebenso bewundere ich ihren Mut, in vielen Rollen, das unbequeme andere – also linke – Amerika zu verkörpern, als unnachgiebig aufklärende Reporterin in »Das China Syndrom« etwa. Sie hat sich nicht gescheut, die Fremde zu spielen, die nicht ganz dazugehört zu God's own Country, allenfalls als Sand im Getriebe. Häufig durchlebt sie auf der Leinwand Entwicklungsprozesse, man denke an Hal Ashbys Vietnam-Heimkehrer-Film. Richtig mag ich sie jedoch vor allem in Rollen, in denen sie eine spröde Zugänglichkeit herstellt, in »Der elektrische Reiter« etwa oder »Eine Farm in Montana«, ohne ihre Integrität aufzugeben.

Zu Einsicht sind auch Waynes Leinwandcharaktere fähig. In einigen Ford-Western, namentlich »Der Teufelshauptmann«, oder auch in »Man nennt mich Hondo« von John Farrow, erweist er den Indianern nicht nur jenen Respekt, den Kämpfer ebenbürtigen Gegnern schulden. Er entspringt aus der Achtung vor der hohen Moral ihrer Lebensweise. Dieser Zug zeigt sich nicht nur in seinen großen, sondern auch in minderen Filmen wie »Die Unbesiegten«, wo der vermeintlich homophobe Wayne an der Seite Rock Hudsons vergnügt die Aussöhnung zwischen Nord- und Südstaaten vorantreibt. Und ein paar Jahre danach beklagt er sich im »Playboy« über sittenzersetzende Filme wie »Midnight Cowboy«! Schlimmer noch, er rechtfertigt die blutige Landnahme der weißen Siedler und ermutigt seine Landsleute, deswegen keine Schuldgefühle zu haben.

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