Ihre Lieder – ihre Träume
Ich vermute, das Tragen von Sonnenbrillen gehört zu den anstrengendsten Pflichten, die Prominente sich auferlegen müssen. Gewiss, es mag lässig wirken. Aber es kann doch nicht gesund sein, die Welt immer nur abgedunkelt zu betrachten! Als Schutz vor neugierigen Blicken mag sie bei Beerdigungen ja noch durchgehen. Generell jedoch stelle ich es mir reichlich entmutigend vor, das Leben nur in reduzierter Farbigkeit wahrnehmen zu können.
Wahrscheinlich ist es ein freiwilliger Oktroy. Die Sonnenbrille weist ihrem Träger einen Status der Berühmtheit zu, welcher der Abschirmung bedarf. Insofern zielt er nicht auf Anonymität, sondern auf Aufmerksamkeit. Beim diesjährigen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker schnitt die agile Live-Regie zwischendrin fleißig auf Personen im Publikum, deren Ruhm in den meisten Fällen nicht die Grenzen der Alpenrepublik überschreitet. Beim Schlussapplaus jedoch nahm sie eine würdige Sonnenbrillen-Trägerin ins Visier: Julie Andrews. Ich war bass erstaunt, sie hier zu sehen.
Im Nachhinein fallen mir mindestens drei Gründe ein, weshalb dies eine dumme Reaktion war. Ihre Anwesenheit war schon aus topographischen Gründen ganz und gar nicht abwegig. Vielleicht besitzt Dame Julie ja immer noch das Chalet in Gstaad, in dem sie wahlweise mit ihrem Mann Blake Edwards wohnte. (Gewiss, das liegt in der Schweiz, aber aus US-Perspektive ist das ja nur ein Katzensprung.) Vor zwei Jahren wurde sie zumindest zur Ehrenbürgerin erkoren. Ihr Hauptwohnsitz dürfte nach wie vor Los Angeles sein. Dort wird sie bestimmt das ein oder andere Konzert besucht haben, das Gustavo Dudamel als Chefdirigent der heimischen Philharmoniker bestritt. Nun war sie ihm vielleicht aus Neugierde gefolgt. Natürlich war es bedauerlich, dass Andrews die Farbenpracht der Blumendekorationen, die die städtischen Gärten verschwenderisch im Festsaal drapiert hatten, hinter ihrer Brille nur eingeschränkt genießen konnte. Aber man darf festhalten, dass sich die Reise gelohnt hatte: Der Venezolaner (übrigens ein Vorbild für »Mozart in the Jungle«) mischte das traditionsstarre Konzertprogramm mächtig und innovationsfreudig auf. Große Künstler wie Julie Andrews sind eben erst einmal gute Zuschauer respektive Zuhörer.
Vielleicht war sie sich auch einfach nur der Verantwortung bewusst, Julie Andrews zu sein. Immerhin spielt ihr weltweit, allerdings nicht im deutschsprachigen Raum, berühmtester Film in Österreich. Wer weiß, wie oft und wie großmütig sie sich an den Drehorten einfindet, zu denen alljährlich zahllose Fans von »Meine Lieder – meine Träume« pilgern? »The hills are alive with the sound of music« wird Andrews in Salzburg und dem Umland wohl nicht zum Besten geben, denn eine missglückte Kehlkopfoperation hat ihre Stimme einiger Oktaven beraubt. Aber die Erinnerung an die Baronin von Trapp will in Ehren gehalten werden. Das Huldvolle liegt Andrews ja noch immer, wenn wir nur an ihre hübsche Rolle als Königin in »Plötzlich Prinzessin« (Goodbye, trolley people!) denken. Am Neujahrsmorgen jedoch trat sie bürgerlich auf.
PS: Ob, wann und wie aus meinen gestrigen Spekulationen über die »Black List« Makulatur wird, zeigt sich erst in Monaten oder Jahren. Die heutigen jedoch kann ich umgehend korrigieren: Ein Freund aus Wien berichtete mir gerade, dass Andrews dem Neujahrskonzert seit Jahrzehnten verbunden ist, da sie es für einen US-Sender kommentierte. Und er bestätigte mir, dass in Salzburg richtig die Post abgeht - er sei dort vor Jahren einmal fast Opfer einer »Sound of Music«-Stampede geworden.
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