Sirene in Wasserstoffblond
Es gab eine Zeit, da war Hollywood ganz verrückt nach Ungarn. George Cukor, Mihaly Kertesz (Michael Curtiz) und Charles Vidor gehörten zu den angesehensten Regisseuren der Filmmetropole. Ernst Lubitsch verfilmte eine ungarische Komödie nach der anderen. Bela Lugosi jagte einer ganzen Generation von Kinogängern als Dracula gehörige Schrecken ein. Peter Lorre und Paul Lukas wiederum zählten zu den beliebtesten Nebendarstellern.
Das Ungarische erschien damals wohl als Inbegriff europäischer Weltläufigkeit. Es war auch ein Synonym für bodenständigen, zugleich raffinierten Humor. Es beschwor eine ferne Welt voller Galanterie und Charme. Dieses Flair strahlte auch Zsa Zsa Gabor aus, die auf der Leinwand gern als muntere Lebedamen oder raffinierte Kurtisane besetzt wurde.
Als ich heute morgen in den Nachrichten von einer Schauspielerin hörte, die kurz vor ihrem 100. Geburtstag gestorben sei, bekam ich erst einen Schreck, weil ich an die wunderbare Danielle Darrieux dachte. Dann gab es nach einer Sekunde die Entwarnung. Unsterblich wurde Gabor durch ihre Filmkarriere nicht. Aber ihr nonchalantes »dahlink« ist dann doch in die Annalen Hollywoods eingegangen. Und wenn ich sie früher mal im Fernsehen sah, gab es eigentlich nie einen Grund, abzuschalten. Sie hatte was.
Ich vermute, die hollywoodsche Begeisterung für alles Magyarische verdankte sich dem Umstand, dass viele Studiobosse von dort stammten: William Fox, Sam Goldwyn, Louis B. Mayer und Adolph Zukor, der nicht nur Gründer von Paramount war, sondern auch als erste Hollywoodberühmtheit die magische Altersgrenze von hundert Jahren überschritt. Das ist Zsa Zsa Gabor nicht ganz gelungen. Aber wer weiß? In ihrer Generation gehörte es noch zum guten Ton, die Öffentlichkeit über das eigene Geburtsjahr im Unklaren zu lassen. Ich erinnere mich noch lebhaft an den Auftritt ihres wahrscheinlich achten Ehemannes in der Talkshow von Alfred Biolek erinnern, wo ihn der Gastgeber mit allem gebotenen Takt fragte »Weiß man eigentlich, wie alt sie ist?«
Dieses weltmännische »man« legt nahe, dass es sich bei Zsa Zsa Gabor weniger um eine reale Person als vielmehr um ein mondänes Phänomen handelte, wie es erst das 20. Jahrhundert hervorbringen konnte. Zwar wurde sie tatsächlich als Tochter eines Juweliers in Budapest geboren, dort 1936 zur Miss Ungarn gekrönt und absolvierte eine Gesangsausbildung in Wien. Aber nachdem sie ihrer Schwester Eva nach Hollywood (spätere Fotos lassen vermuten, dass die unzertrennlichen Schwestern den gleichen Schönheitschirurgen konsultierten) gefolgt war, verloren sich die Spuren ihrer wahren Existenz rasch in der Fiktion von Klatsch und Gerüchten. Die Ehemänner lösten sich ab wie Hotelgäste in der Drehtür. Die Angaben schwanken zwischen acht und neun. Eine war wohl nicht rechtskräftig. 1982 ließ sie sich von einem Schiffskapitän trauen, der dazu nicht befugt (und die Braut wiederum noch gar nicht geschieden) war. Sie perfektionierte die blitzartige Millionärsehe zu einem Geschäftsmodell, das eifrige Nachahmerinnen fand. Auch der sublime George Sanders hatte als ihr dritter Gatte wohl wenig zu lachen, wurde aus dem Schaden aber vielleicht nicht klug, sondern heiratete daraufhin eine ihrer Schwestern. Ob ihr sechster Ehemann, der Erfinder der Barbiepuppe, diese wohl nach dem Ebenbild der wasserstoffblonden Sirene gestaltete? Ihre anmutig dralle Statur spricht eher dagegen. Gleichviel, im Titel ihres dritten Films (»Wir sind gar nicht verheiratet«) steckt schon eine prächtige Ironie.
Sie war vor allem berühmt dafür, berühmt zu sein. (Ein Burger-Restaurant in meiner Nachbarschaft ist nach ihr benannt.) Auch darin leistete sie Pionierarbeit, wurde zur Urahnin heutiger It-Girls wie Paris Hilton, mit der sie übrigens durch ihre zweite Ehe mit Conrad Hilton verwandt war. Angesichts ihrer vielen Skandale, Scheidungsprozesse, Beleidigungsklagen und sonstiger Affären ist es erstaunlich, dass sie überhaupt Zeit fand, als Schauspielerin zu arbeiten. Die Internet Movie Database verzeichnet immerhin 76 Film- und TV-Auftritte. Einige darunter sind richtig gut. In »Moulin Rouge« von John Huston spielte sie 1952 die legendäre Tänzerin Jane Avril, in Orson Welles' »Im Zeichen des Bösen« verkörperte sie sechs Jahre die Besitzerin eines Striptease-Lokals; angemessen abgeklärt, wenn ich mich recht erinnere. Bald erwarb sie sich nachhaltigen Ruf als Königin der B-Pictures. Auch italienische Produzenten schätzten die Publicity, die unweigerlich mit einem ein Engagement Gabors einherging. Von den 60er Jahren an trat sie hauptsächlich als sie selbst auf. Für einen ihrer schönsten Leinwandauftritte musste sie allerdings nicht einmal vor der Kamera erscheinen. In »Erdbeben« von 1974 kommt ein Rennfahrer auf dem Sunset Boulevard ins Schlingern und rast stracks durch die Hecke eines prächtigen Anwesens. Ein Verkehrspolizist schnauzt ihn daraufhin an, als habe er ein Kapitalverbrechen begangen. Das sei nicht irgendeine Villa, sondern die von Zsa Zsa Gabor.
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