Konzert der Claqueure
Auch nach zwei Wochen ist der Schrecken noch nicht verflogen. Noch immer gehen mir die Bilder des siegesgewissen Donald Trump durch den Kopf, der an jenem Mittwochmorgen (MEZ) vor 14 Tagen vor seine Anhänger trat. Die gründlich fiktivere Figur hatte die US-Wahl gewonnen Der Sieger präsentierte sich als Schaf im Wolfspelz.
Er gab sich konziliant, wollte nun nicht mehr polarisieren, sondern Brücken schlagen. Ich glaube, er führte sogar die Vokabeln "Würde" und "Respekt" im Munde. Er dankte seinen Unterstützern und seiner Klientel und brach den Triumph auf die Überschaubarkeit einer Familienfeier hinunter. Aber es schien, als habe schon fast etwas Staatsmännisches von ihm Besitz ergriffen. Diese neuentdeckte Mäßigung indes wirkte ebenso strotzend und auftrumpfend wie sein wüterisches Gebaren zuvor. Er konnte nicht aus seiner Haut.
Besonders ein gestisches Detail dieses Auftritts verfolgt mich seither. Es war nicht einmal überraschend, sondern hatte stets zum Grundbestand seiner Kampagne gehört: Er klatschte in die Hände. Diese Gebärde wirkte beinahe selbstvergessen, was allerdings nicht recht zu einem so hingebungsvollen Narzissten passte. Er führte sie mit einer geradezu verächtlichen Mechanik aus. Fast hätte man sein Klatschen als beiläufig und pflichtschuldig wahrnehmen können. Aber das wäre ein schlimmer Irrtum gewesen. Es war prahlerisch. Wem sollte er applaudieren? Sicher nicht der Republikanischen Partei, über die er ebenso spottet wie über seine Wähler. Beifall kann man nur Anwesenden spenden.
Wie anmaßend und egozentrisch Applaus sein kann, darauf hat unlängst der Musikkritiker Frederik Hanssen in einer Brandrede gegen voreilige Ovationen hingewiesen. Ich selbst ertappe mich manchmal dabei, dass ich es nicht erwarten kann, als Erster die Stille im Saal zu brechen. Nach der Lektüre des Artikels werde ich vielleicht ein Einsehen haben. Andererseits gehört der Beifall natürlich zu den schönsten Privilegien des Publikums: Er ist, wenn angebracht, eine köstlichste Pflicht. Im Kinosaal hört man ihn nur bei besonderen Gelegenheiten. Am Ende der Pressevorführungen der Berlinale beispielsweise wird er von der Menge der Kritiker als ein Gradmesser eingesetzt; durchaus strategisch. Von französischen Festivals wiederum kenne ich es, dass bereits bei der Namensnennung der Beteiligten im Vorspann höflich applaudiert wird. Aber die gibt es ja kaum noch, die sind ans Ende verbannt, wenn die Masse bereits flüchtend den Saal verlässt.
Unvergesslich ist mir die Erzählung einer Kollegin vom Zwischenapplaus, der während der Kritiker-Vorführung von »Mad Max: Fury Road« in Cannes aufbrauste, als die Schwarzblende auf einer erlöschenden Fackel das Ende des ersten Aktes besiegelt. Aus ihm sprach gewiss das Entzücken darüber, wie bravourös sich ein Regisseur seiner eigenen Sprache bedient. Der Gedanke an diese selbstlose Ovation (und natürlich an die Szene) beschert mir immer wieder eine wohlige Gänsehaut. Vor ein paar Wochen erlebte ich einen ähnlich erfreulichen, ja beglückenden Applaus, als ich in Paris den brasilianischen Film »Aquarius« sah, der in diesem Jahr in Cannes im Wettbewerb lief. (Es war übrigens mein zweiter Versuch, ihn zu sehen, denn am Vortag war er ausverkauft gewesen.) Der Film von Kleber Mendoca Filho ist großartig und ich hoffe inständig, dass er einen deutschen Verleih findet.
Er erzählt von einer Witwe, einer gefeierten Musikkritikerin, die sich als letzte verbliebene Mieterin weigert, ihre Wohnung aufzugeben, damit der Apartment-Komplex saniert werden kann. Sonia Braga ist magistral in der Rolle, die nicht um eine umkomplizierte Identifikation des Publikums buhlt. Sie ist egoistisch, launenhaft und gebieterisch. Im Gegensatz zur Konstruktion der Filme aufrechter Sozialrealisten wie den Brüdern Dardenne oder Ken Loach, hat diese Kämpferin nicht den Vorzug, arm zu sein. Sie führt vielmehr ein ziemlich privilegiertes Dasein.
Über zweieinhalb Stunden verfolgt man atemlos ihrem Widerstand; die Warnungen meiner Pariser Freunde, er sei doch ein wenig zu lang geraten, erwiesen sich als haltlos. Am Ende konfrontiert sie ihre mächtigen Gegenspieler, einen Immobilienmakler und dessen Sohn, mit Beweisen dafür, dass sie beide Dreck am Strecken haben. Den Ausgang lasse ich natürlich offen; dies ist keine schlichte David-gegen-Goliath-Geschichte. Mit dem Beginn des Abspanns setzte augenblicklich begeisterter Applaus ein. Die Unerbittlichkeit, mit der die Heldin der Macht die Stirn bot, war allen Respekts würdig. Ich wusste erst nicht, wie mir geschah. Applaus kann ja auch eine Nötigung ein. Aber dieser war befreiend. Und ansteckend.
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