Gewöhnliche Vorfälle

»Das Boot« (1981)

Am heutigen Tag fallen zwei Entscheidungen, die ich mit großer Spannung erwarte. Vor zehn Minuten begann, sofern es dort pünktlich zuging, im Bundestag die Debatte über eine Resolution, welche die Große Koalition und die Grünen gemeinsam eingebracht haben. Sie zielt darauf, den Begriff »Völkermord« endlich in den offiziellen Sprachgebrauch der Bundesregierung aufzunehmen, wenn von den Massakern die Rede ist, die das Osmanische Reich ab 1915 an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten beging.

In meinen Einträgen vom 17. und 23.4. letzten Jahres beschäftige ich mich ausführlich mit der filmischen Aufarbeitung des Genozids bzw. deren Verhinderung. Wirklich klare Worte fand die Regierung seinerzeit, als dessen 100. Jahrestag begangen wurde, noch nicht; das Europaparlament hingegen hatte sich bereits vor 29 Jahren auf diese Sprachregelung einigen können. Maßgebliche Regierungsvertreter bleiben der heutigen Sitzung fern. Der Außenminister befindet sich in Lateinamerika, der Vizekanzler spricht auf dem Tag der deutschen Bauindustrie und die Kanzlerin hält auf einem Kongress eine Rede über »Digitale Bildung«. Mal einmal ganz abgesehen davon, wie risikoreich diese spezielle Passion der Regierung ist (siehe »Bedingt zukunftsfest« vom 25.2.), lässt sie demonstrativ die Gelegenheit verstreichen, Position zu beziehen. Allerdings scheint die geopolitische Situation dem Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches, der Türkei, momentan auch ein besonderes Druckmittel in die Hand gegeben zu haben. Aus Ankara kommen vertraute Drohgebärden und Ministerpräsident Binali Yildrim verharmlost die Gräueltaten als »gewöhnliche Vorfälle«, die »unter den Bedingungen des Ersten Weltkriegs in jeder Gesellschaft und jedem Land hätten vorkommen können.« Es bleibt zu hoffen, dass es in der Debatte mehr um den hundertjährigen Schmerz des armenischen Volkes gehen wird und weniger um die guten Beziehung zum Kalifat, das Herr Erdogan gern in der Türkei installieren möchte. Die Fraktionsdisziplin könnte dafür stehen.

Auch die zweite Entscheidung, die am heutigen 2. Juni ansteht, wird womöglich vor dem Hintergrund eines Klimas der Drohung getroffen. Bei ihr geht es aber nur um das Kino und Fragen des Urheberrechts. Vielleicht könnte auch sie zukunftsweisend sein, wobei die beklagte Partei insgeheim wohl auf eine biologische Lösung des Problems gehofft hatte. Ihre Verzögerungstaktiken sprechen zumindest dafür. Der mittlerweile 82jährige Kameramann Jost Vacano streitet mit der Produktionsfirma Bavaria und dem co-produzierenden Sender WDR um eine angemessene Vergütung für die Arbeit, die er 1981 bei »Das Boot« leistete.

Der Rechtsstreit zieht sich seit elf Jahren hin, begann mit einer Klage auf Offenlegung, wie viel der Film den Verwertern tatsächlich eingebracht hat, ging fortan die Instanzen rauf und auch wieder runter; zuletzt wurde dem Kläger vom Oberlandesgericht München 2013 statt gegeben. Seit viereinhalb Stunden, sofern es dort pünktlich zugeht, wird vor der Zivilkammer des dortigen Landgerichts erneut und womöglich endgültig in der Sache entschieden. Für die Prozessbeteiligten steht nicht nur eine Menge Geld auf dem Spiel - die Kammer hatte am letzten Verhandlungstermin einen Vergleichsvorschlag von 700000 Euro unterbreitet, der von den Beklagten abgelehnt wurde. Sie kann überdies einen Präzedenzfall schaffen, welcher der Branche heftiges Kopfzerbrechen bereiten dürfte.

Die Summe selbst mutet ziemlich astronomisch an (2013 war noch eine zusätzliche Vergütung von einer halben Million im Gespräch), sie entspricht etwa dem Siebeneinhalbfachen dessen, was Vacano 1981 erhielt. Unrealistisch ist sie nicht angesichts der zig Millionen, die der U-Boot-Film bisher seinen Verwertern im Kino, Fernsehen und Home-Entertainment einspieltet. Vacano kann sich auf den Paragraphen 32a des Urheberrechtsgesetzes berufen, den sogenannten »Beststeller«-Paragraphen, der ein Missverhältnis zwischen Gewinnen und Vergütung der Urheber verhindern soll. Bislang ist er im Filmgeschäft recht zahnlos geblieben bzw. kam die Gesetzesnovelle nur den Verwertern zugute, da potenzielle Kläger befürchten müssen, den Zorn der Branche auf sich zu ziehen und beruflich ins Abseits zu geraten. Vacanos Anwalt hob hervor, dass sich allenfalls Miturheber im Pensionsalter auf 32a berufen.

Gegenüber dem droit moral, das Urheber in Frankreich schon lange und selbstverständlich geltend machen können, ist die deutsche Gesetzgebung noch im Hintertreffen. Zumal die Gerichte auch ästhetische Gesichtspunkte in Betracht ziehen müssen, die nicht eindeutig justiziabel sind. Vor etlichen Jahren wurde ich einmal angesprochen, gewissermaßen als Sachverständiger in einem Prozess um das »Recht am Bild« auszusagen. Ich lehnte damals ab, weil die Anfrage erstens von der falschen Partei kam und mir andererseits der künstlerische Beitrag des Klägers nicht wirklich überzeugend erschien. Dass Vacano ein maßgeblicher Mitschöpfer von »Das Boot« ist, lässt sich indes nicht von der Hand weisen. Er hat eigene Techniken für den Dreh im engen U-Boot-Dekor entwickelt (den »Kreiselstabilisator«), die Führung der Handkamera vermittelt ein Gefühl des »absoluten Mittendrinseins« (fand Hans-Georg Rodek in der »Welt«)und trägt entschieden zur Wirkung des Films bei. Nach meiner Einschätzung - wir begegneten uns einmal bei einem Symposium über Filmformate - ist Vacano ein überzeugter Verfechter der Rechte seines Berufsstandes. Wenn nach dem heutigen Gerichtstermin die Position des Kameramannes als Bildurheber gestärkt wird, könnte das sogar noch schwerer wiegen als die Summe, um die gestritten wird.

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