Widerstände

»Das Haus der Lerchen« (2007)

Was haben MGM, Don Siegel, Omar Sharif, Carlo Ponti, Charles Bronson, Sylvester Stallone und Ottokar Runze gemeinsam? Für die ersten Sechs ließen sich ohne Mühe Berührungspunkte finden; Runze hingegen erscheint auch auf den zweiten Blick als der odd man out in dieser Reihe. Wenn Sie meinen Eintrag "Schreie und Flüstern" vom 17. 4. gelesen haben, werden Sie schon ahnen, was sie verbinden könnte. Sie alle waren im Verlauf der letzten 80 Jahre irgendwann einmal an Projekten beteiligt, "Die 40 Tage des Musa Dagh" zu verfilmen, Franz Werfels Roman über den Überlebenskampf von Armeniern, die sich auf dem Mosesberg verschanzten und 40 Tage den türkischen Angriffen widerstanden.

MGM erwarb bereits 1934, kurz nach dem Erscheinen des Buches, eine Option. Zwei namhafte Szenaristen, Carey Wilson und Talbot Jennings, verfassten ein Drehbuch, das dank der Intervention türkischer Diplomaten in den Archiven verschwand. Erst in den 1960er Jahren startete das Studio erneute Versuche, das brisante Thema in Angriff zu nehmen. Als Erster arbeitete Carl Foreman an einer Adaption. Für spätere Versionen waren Christopher Plummer und Omar Sharif als Hauptdarsteller im Gespräch. Noch 1976 kündigte MGM die Verfilmung eines Drehbuchs von Ronald Harwood an. Irgendwann zwischendrin hegte der Actionspezialist Siegel den Plan einer Verfilmung, gab ihn aber auf, weil er überzeugt war, dass der Massenmord an den Armeniern das eine kontroverse Thema sei, von dem Hollywood die Finger lässt.

1979 wollten die umtriebigen Cousins Golan-Globus (Cannon) den Roman mit Charles Bronson verfilmen. Was für ein bizarrer Film wohl daraus geworden wäre? Ottokar Runze wiederum verfolgte über 20 Jahre den Plan einer Adaption, was ihn nach eigener Auskunft gut zwei Millionen Euro kostete. Sylvester Stallone schließlich kündigte 2010 an, er wolle Werfels Roman verfilmen, lenkte dann aber nach erbitterten Protesten aus der Türkei ein. Er wurde als "Asala" beschimpft, als Mitglied der geheimen Terrorarmee, die in den 1970er und 80er Jahren Anschläge auf türkische Diplomaten verübte.

Tatsächlich gibt es eine Verfilmung, die ein armenisch-amerikanischer Produzent 1981 mit Kabir Bedi realisierte. Aber die hat nach der Premiere in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences kein Mensch mehr gesehen. Würde heute ein Produzent (vielleicht hat Runze ja noch nicht aufgegeben?) den Stoff wieder ausgraben, drängten sich ihm gewiss Parallelen zwischen dem Schicksal der Armenier und dem der Yesiden auf, die unlängst ebenfalls auf Bergen Zuflucht vor ihren Verfolgern suchten.

Aus türkischer Sicht lässt sich diese Stoffgeschichte als veritable Erfolgsstory erzählen. Allerdings gab es bereits 1918, nach der Niederlage des Osmanischen Reiches, einen Hollywood-Film, der den Opfern des Genozids ein Denkmal setzte. Die Produktionsfirma Selig brachte eine Verfilmung des Augenzeugenberichts von Aurora Mardiganian heraus, die für beträchtliches Aufsehen sorgte. Die während der Deportation 14jährige Mardiganian spielt in Geschändetes Armenien (auch bekannt als Auktion der Seelen) ihre eigene Familiengeschichte nach. Kritiker hegten zwar Zweifel an der Authentizität ihres Buches (ihr Schicksal wirkte wie ein Amalgam aus mehreren Schicksalen: niemand mochte sich vorstellen, dass einem einzigen Menschen so viel Grausamkeiten zustoßen könnten), es avancierte jedoch zum Bestseller. Das politische Klima in den USA war 1918 noch ein ganz anderes; das Osmanische Reich war als ehemaliger Verbündeter Deutschlands ein geschlagener Kriegsgegner. Es wurde viel Geld für armenische Hilfsfonds gesammelt. Die Produzenten des Films gaben vor, einen Teil ihrer Einnahmen für die Sache zu spenden. Der Film war gewiss auch ein Erfolg, weil er ein Versprechen auf viel Sex und Gewalt ausgab. Zwei der ursprünglich neuen Filmrollen existieren noch und sind auf YouTube in miserabler Bildqualität zu sehen. Sie erwecken den Eindruck, der Film mache sich sein Thema zur Beute. Über ihn und die Hintergründe seiner Entstehung hat der Stummfilmkenner Anthony Slide ein bemerkenswertes Buch herausgegeben, ("Ravished Armenia and the Story of Aurora Mardiganian") in das auch Interviews einflossen, die er mit der inzwischen greisen Titelheldin führte. "Auroras", Atom Egoyans aktuell am Gorki Theater in Berlin gezeigte Installation, bezieht sich gewiss auch auf sie. Immer noch nicht gesehen! Aber der morgige Gedenktag wäre ein schöner Anlass.

Als ich in den letzten Wochen einige Filme sah, die sich mit dem Völkermord auseinandersetzen, fiel mir ins Auge, dass sich in dieser schmalen Tradition eine eigene Ikonografie abzeichnet. Schon in Geschändetes Armenien sind die Todesmärsche durch die Wüste und Kreuzigungen zu sehen, die auch in The Cut und Das Haus der Lerchen auftauchen. (Dass die Armenier auch mit der von Deutschen gebauten Bagdad-Bahn deportiert wurden, sparen die Filme wahrscheinlich aus Budgetgründen aus.) In den neueren Filmen, zumal in Egoyans Ararat spielen Familienporträts und andere fotografische Zeugnisse zentrale Rollen. Die Erinnerung an die untergegangene Welt der Armenier in Anatolien verbindet sich oft mit Früchten – bei Egoyan sind es Granatäpfel, in Das Haus der Lerchen Trauben. Zwei großartige Darsteller tauchen in fast allen Filmen auf, Simon Abkarian und Arsinée Khanjian.

Über die Vorgeschichte des Genozids von 1915, die Massaker der 1890er Jahre und das von Adama im Jahre 1909, erfährt man wenig. Auch die Beweggründe des jungtürkischen Regimes bleiben unterbelichtet, wenngleich gelegentlich ein gewisser Sozialneid gegenüber dem reichen armenischen Bürgertum anklingt sowie der Verdacht, die Armenier würden gemeinsame Sache mit dem Kriegsgegner Russland machen. Auf die Frage nach der filmischen Darstellbarkeit der Massaker finden die Regisseure sehr unterschiedliche Antworten. Bei Fatih Akin geschehen sie weitgehend außerhalb des Blickwinkels seines Helden. Ihr Ausmaß lässt sich in in den Film-im-Film-Szenen in Ararat schon eher erahnen. Der zunächst gediegen anmutende Das Haus der Lerchen hingegen zeigt Ermordungen, Vergewaltigungen und Verstümmelungen in bisweilen drastischer Anschaulichkeit. Noch stärker als die Filme Akins und Egoyans erkundet der Film der Taviani-Brüder moralische Grauzonen. Ein von André Dussollier gespielter Offizier gewinnt verstörende Ambivalenz. Besonders faszinierend fand ich das Auftauchen der "Bruderschaft der Bettler", um deren Hilfe ein Freund der Familie bittet, nachdem er ihr Versteck an die türkische Armee verraten hat. Die Vermengung von Reue, Loyalität und Okönomie ist atemraubend.

Das Haus der Lerchen ist am 27. 4. auf arte zu sehen und wird am 28. nachts wiederholt. Zum Jahrestag laufen in den öffentlich-rechtlichen Sendern diverse Dokumentationen, meist auf späten Sendeplätzen gut versteckt. Eric Friedlers Aghet – Ein Völkermord von 2010 hat einen sehr guten Ruf. Er läuft Freitagnacht um 1.20 Uhr in der ARD. Am Dienstag strahlt arte eine Dokumentation (Hinrichtung auf offener Straße) aus, die von dem Attentat auf den ehemaligen Innenminister des Osmanischen Reichs, Talat Pascha, in Berlin handelt. Die armenische Rache ist ein Aspekt, der für das Erzählkino noch ein großes, spannendes Potenzial bereit hielte. Auf die Asala wird in Ararat angespielt. Die "Operation Nemesis", eine Geheimorganisation, die Anfang der 20er Jahre einige Drahtzieher des Genozids ermordete, ist bislang jedoch nur Gegenstand von Sachbüchern. Der deutsche Historiker Rolf Hosfeld hat über sie ein vielbeachtetes Werk geschrieben. Und am Wochenende erschien in der New York Times eine Buchkritik, auf die mein Blick wegen des Autors fiel: Es ist der Schauspieler Eric Bogosian (Talk Radio, Criminal Intent). Sein Buch basiert auf Recherchen, die er sieben Jahre lang für ein Drehbuch über die Operation Nemesis anstellte. Den Film wollte ihm niemand finanzieren.

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