Leselust – Das böse Wort Talent
Auch Schriftsteller sind bisweilen von Filmstars fasziniert. Warum sollte es ihnen anders ergehen als uns? Gegen das Leuchten, das Schauspieler zu Stars macht, sind sie wahrscheinlich ebenso wenig gefeit wie unsereins. Aber ihr Beruf prädestiniert sie womöglich ja dazu, die metaphorische Dimension dieser Strahlkraft klarer einzuschätzen und darin etwas Bezeichnendes festzumachen.
Ich vermute, diese Anziehung liegt wesentlich in der Vieldeutigkeit des Schauspielerberufs begründet. Schließlich soll ein Star er (oder sie selbst) sein, aber zugleich auch glaubwürdig sein in der Verkörperung der vielen Charaktere, die er/sie spielt. Ebenso entscheidend scheint mir, dass Schriftsteller in Stille und Einkehr schaffen, während die Arbeit des Schauspielers sich in der Extrovertiertheit und unter den Augen der Öffentlichkeit erfüllt. Das ist ein enormes, unwiderstehliches Spannungsfeld: ein Taumel, in den sich viele begeben haben. Zwar war die Beziehung zwischen Ernest Hemingway und Marlene Dietrich mutmaßlich nur platonisch (ihr Briefwechsel weist sie indes als einfallsreiche Verbalerotiker aus). Aber es gab hochkarätige Allianzen, die nicht nur auf dem Papier stattfanden: Albert Camus war zeitweilig liiert mit Maria Casares (dem Todesengel aus »Orphée«); Edna O'Brien hatte eine Affäre mit Robert Mitchum; Gore Vidal wiederum teilte das Bett angeblich mit Rock Hudson, Charles Laughton sowie, nun wird's verblüffend, Paul Newman und Fred Astaire. Jackie Collins und Marlon Brando lassen wie mal beiseite – sie war erst 15 und noch weit von ihren späteren, dubiosen Bestsellererfolgen entfernt.
Aus dieser Faszination wurden überdies prominente Ehen geschlossen - man denke nur an Arthur Miller und Marilyn Monroe, Romain Gary und Jean Seberg, Erich Maria Remarque (ein Wiederholungstäter: Er war davor mit Garbo und Dietrich liiert) und Paulette Goddard oder Roald Dahl und Patricia Neal. Diese Ehen hinterließen zuweilen literarische Spuren (etwa in Millers »Nach dem Sündenfall«), die leider oft die Form der Abrechnung annehmen (etwa beim Schlagabtausch zwischen Claire Bloom und Philip Roth: Zunächst beschrieb sie ihre Beziehung iun ihren Memoiren als Folter und er revanchierte sich mit einem Roman, in dem er das boshafte Porträt einer Schauspielerin namens Claire zeichnet). All diese Verbindungen hatten beträchtliches Klatschpotenzial, da die Beteiligten jeweils ziemlich berühmt waren. Aufschlüsse über den Beruf des Schauspielers darf man von den literarischen Zeugnissen nicht erwarten, sondern eher Reflexionen über die Gesetze der Berühmtheit oder Vexierspiele zwischen Realität und Fiktion. Das ist in sofern legitim, da das Privatleben von Filmstars traditionell ein ihrer Kunst mindestens ebenbürtiges Faszinosum darstellt.
Das gilt auch für die drei Romane, die ich Ihnen heute empfehlen möchte. Allen ist jedoch gemeinsam, dass sie ein sehr präzises Gespür dafür verraten, was es bedeutet, ein Filmstar zu sein. »The Public Image«, der Titel von Muriel Sparks Roman aus dem Jahr 1968, hebt auf diese besondere Stellung ab. (Meines Wissens ist er auf in Deutschland nie erschienen, wurde aber gerade als Taschenbuch in der Reihe Virago Modern Classics auf Englisch neu aufgelegt.) Es heißt, die Protagonistin, die den fürs Filmgeschäft unpraktischen Namen Annabel Christopher trägt, sei an die britische Schauspielerin Belinda Lee angelehnt, die zwar nur 25 Jahre alt wurde, deren Filmographie immerhin aber 33 Titel umfasst. Es ist keine Schande, sie nicht zu kennen. Ihren kurzen Ruhm erlangte sie Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre vor allen in italienischen Sandalenfilmen, in denen sie mythische Figuren wie Aphrodite, Messalina oder Lucrezia Borgia spielte. Allerdings trat sie auch In Francesco Rosis »Auf St. Pauli ist der Teufel los« auf.
Ich habe eine besondere Schwäche für sie, seit ich sie in dem britischen Mantel & Degen-Film »Im Dienste des Königs« an der Seite von Louis Jourdan sah. Ihre Wangenknochen waren so formvollendet, dass jeder vormoderne Bildhauer stolz auf sie gewesen wäre. Sparks Roman kreist um das zentrale Skandalon ihrer Biografie, den Selbstmordversuch eines ihrer Liebhaber, der aus dem Geschlecht der Orsini stammte und mithin zum Vatikan-Adel gehörte. Sparks Buch handelt von einem sehr modernen Phänomen, dem Krisenmanagement, schildert ziemlich vielschichtig die immensen Herausforderungen, die ein Schicksalsschlag für die Betroffenen und für die Publicity darstellt. Die Widersprüche einer Star-Existenz sind für die Autorin ein fremdes, rätselhaftes und verstörendes Terrain. Sie beschreibt Annabel als »puny« (also mickerig) und verfolgt umso gebannter das Mysterium ihrer Verwandlung durch die Kamera. Zwar gewährt sie Einblick in das Innenleben ihrer Heldin, die dennoch unergründlich für sie bleibt. Annabel, deren Aufrichtigkeit von ihrer Umgebung ständig in Zweifel gezogen wird, scheint verloren zu gehen hinter der Fassade ihrer öffentlichen Existenz. Die Schlusspointe verrate ich indes besser nicht. Selten habe ich die Janusköpfigkeit der Institution des Filmstars, zugleich ein Phänomen der Nähe wie der Ferne zu sein, literarisch so überzeugend und vielschichtig analysiert gesehen.
Ian Buruma wiederum nähert sich seiner Protagonistin in »Die drei Leben der Ri Koran« (Hanser Verlag) gleich aus drei Außenperspektiven. Implizit bestätigt er damit das Diktum Stanley Cavells, Filmschauspieler seien eigentlich gar keine Schauspieler, sondern Objekte der Betrachtung. Der ausgewiesene Asien-Kenner Buruma schildert drei Etappen in der Karriere der 1920 in der Mandschurei geborenen und im letzten Jahr verstorbenen Yoshiko Yamaguchi, die zunächst unter dem Künstlernamen Ri Koran berühmt wurde und die Sie vielleicht unter ihrem Hollywood-Pseudonym Shirley Yamaguchi kennen. Der erste Teil ist aus der Sicht eines japanischen Propagandaoffiziers erzählt und handelt von ihrem Durchbruch als Sängerin und Schauspielerin: In den späten 30er wird sie zu einem gewissermaßen transkolonialen Star in den von Japan eroberten Gebieten in China aufgebaut. Der Erzähler des zweiten Teils ist ein US-Offizier, der nach dem Krieg in Japan in der Zensurabteilung arbeitet. Unschwer ist in ihm der spätere Filmkritiker Donald Richie zu erkennen. Er ist der wohlwollende Zeitzeuge ihres kurzen Aufstiegs zum Hollywood-Star. Die Schilderung der Dreharbeiten zu »House of Bamboo« (Tokio-Story) hat mich einiger Illusionen über den Schauplatzrealismus in Sam Fullers Kino beraubt (Yamaguchi klagte darüber, dass alle Dekors wie China-Restaurants aussähen). Der dritte Erzähler ist ein Mitglied der japanischen Red Army- Fraktion, der Yamaguchi in ihrer vorletzten Rolle aus TV-Moderatorin begegnet; ihre letzte sollte die einer konservativen Politikerin sein. Ein Spiel der Identitäten, das viel über pan-asiatische Geschichte erzählt, deren Protagonistin aber notwendig eine Fremde bleibt.
Carlos Fuentes' »Diana oder Die einsame Jägerin« (Fischer TB) schließlich ist eine unverfrorene, fesselnde Indiskretion. Fuentes erzählt von seiner Liaison mit Jean Seberg, die Ende der 60er, Anfang der 70er in Mexiko einen Western drehte. Die Affäre war kurz und heftig, kannte höchste Siedegrade und endete mit einer brüsken Abkühlung. Der berühmte Filmstar, der hier Diana Soren heißt, ist für den Ich-Erzähler, einen Schriftsteller in der Lebensmitten-Krise, eine so hingebungsvolle wie widerspenstige, mithin doppelt reizvolle Trophäe. Fuentes mochte zwar behaupten, die Figur sei zu 50 % Seberg und zu 50% den anderen Frauen in seinem Leben nachempfunden, aber man hat schon weitaus überzeugendere Dementi gehört. Fuentes spielt so geschickt mit der Authenizität, rekapituliert die Biographien so präzise, dass er den Eindruck vermittelt, es sei tatsächlich alles genau so geschehen. Die Akteure sind leicht zu identifizieren: »Luisa Guzman«, die Ex-Frau des Erzählers steht für die schöne Rita Macedo (um deren Karriere es damals nicht so schlecht bestellt war, wie Fuentes behauptet), bei dem Western handelt es sich um »Macho Callahan«, der TV-Star in der Hauptrolle ist David Janssen, hinter dem älteren Schauspieler Stewart Cooper verbirgt sich Lee J. Cobb und der Regisseur bleibt im Roman genauso farblos, wie es Bernard Kowalski Zeit seiner Karriere war. Ich hoffe allerdings, die Beschreibung des unförmigen Geschlechtsteil des Kameramannes werde ich vergessen haben, wenn ich das nächste Mal einen Film sehe, den Gerry Fisher fotografiert hat. Auch zitierten Regieanweisungen von Sebergs Entdecker mag ich nicht ganz für bare Münze nehmen; sie entsprechen doch zu sehr den Klischees, die sich um Otto Preminger ranken. Zwei Filmkünstler tauchen unter ihren Realnamen auf: Clint Eastwood, mit dem Seberg davor eine Affäre hatte und dessen Plakat sie zur Einschüchterung im Schlafzimmer aufhängt, und Luis Bunuel, bei dem sich Fuentes einmal Rat holt und der für ihn meinen Lieblings-Cocktail mixt, den Bunueloni.
Hat man erst einmal den allegorischen Schwulst hinter sich gelassen, mit dem Fuentes die Schauspielerin eingangs umrankt, kann man viel über Seberg, ihren Mythos und ihre Metier erfahren. Ich denke dabei weniger an die detaillierte Schilderung der köstlichen, einfallsreichen Liebesnächte, die Beide miteinander verbrachten. Seberg erscheint als eine zutiefst romantische Figur nicht nur im erotischen, sondern auch im politischen Sinne. Die Schauspielerei, behauptet Fuentes, war für Seberg eine Sphäre, in der sich ihre Wünsche vom Anderssein erfüllen sollten. Einmal wirft der Schrifsteller der Schauspielerin vor, sie spiele Figuren, die sie nur vom Hörensagen kenne. Ein Angriff, der fast ein Kompliment ist.
Der Schriftsteller besucht gelegentlich, schon aus Eifersucht, als Zaungast die Dreharbeiten. Daraus schlägt Fuentes prächtige atmosphärische Funken, wenn er etwa die blasierte Übersättigung von Hollywoodleuten im Ausland schildert oder ein Abendessen, bei dem plötzlich alle Gäste betreten schweigen, nachdem das böse Wort Talent gefallen ist. Fuentes zeigt, wie die Masken fallen; auch die eigene. Er ist ein gewissenhafter Narziss, der sich selbst nicht schont. Die Kränkung, von ihr vor die Tür gesetzt und durch einen jüngeren Liebhaber ersetzt zu werden, überspielt er er allerdings geflissentlich. Sein Ich-Erzähler wähnt sich der Schauspielerin intellektuell überlegen, muss aber entdecken, dass sie erlebnis- und leidensfähiger ist als er. Darin benennt er einen Kern unserer Faszination an Stars: Sie erwecken den Eindruck einer spannungsvolleren Lebendigkeit.
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