Halb Mensch, halb Kulisse
Zu den Widersprüchen des Kinos der NS-Zeit, die mich stets fasziniert haben, zählt der Umstand, dass so viele seiner Stars mit Akzent sprachen. Gut, bei Lilian Harvey war er charmant unauffällig. Aber bei Zarah Leander, Marika Rökk, La Jana und vielen anderen ließ er sich deutlich vernehmen. War das eine Besetzungsstrategie der Domestizierung oder gab sie einem mulmigen Exotismus nach? Die Faszination am Fremden konnte damals ja durchaus aus dem Ruder gehen, man denke nur an die glühenden Briefe von Verehrerinnen, die Ferdinand Marian erhielt, nachdem er die Titelrolle in Jud Süß gespielt hatte.
Der Exotismus dieses Kinos hat noch einen weiteren Aspekt, der erst seit ein paar Jahren eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zieht: seit der Afrodeutsche Theodor Michael seine Lebenserinnerungen vorlegte, in denen er auch von seiner Arbeit als Statist und Kleindarsteller in der Nazizeit erzählt. Fast zeitgleich lief 2013 Majubs Reise von Eva Knopf auf einigen Dokumentarfilmfestivals. Eher zufällig stieß ich im Programm von 3sat auf ihn, wo er im November letzten Jahres unter dem Titel Majubs Reise zu den Sternen ausgestrahlt wurde. Er rekapituliert eine bizarre Biographie. Majub bin Aden Mohammed Hussein, der 1905 (oder 1904) im heutigen Tansania geboren wurde, schloss sich im Alter von neun Jahren gemeinsam mit seinem Vater den Askari an, die während des Ersten Weltkriegs zur Deutschen Schutztruppe gehörten. Sein Vater fiel, der Kindersoldat wurde verletzt und versuchte jahrelang erfolglos, vom Auswärtigen Amt den ihnen zustehenden Sold zu erhalten. Ende der 1920er schiffte er sich nach Deutschland ein und machte unter dem halbwegs norddeutsch klingenden Namen Mohamed Husen eine kleine Karriere im Kino, trat in rassistischen Kolonialschauen auf und gab Suaheli-Unterricht. Er hatte Schlag bei den Frauen. Während des Zweiten Weltkriegs (zu dem er sich als Soldat melden wollte) wurde er der Rassenschande angeklagt und kam im November 1944 im KZ Sachsenhausen ums Leben.
Knopfs Film wirft erstaunliche Schlaglichter in diese Schattenzonen der deutschen Unterhaltungsindustrie. Husen fing als Statist an ("halb Mensch, halb Kulisse" nennt der Erzählkommentar diese Präsenz der relativen Unsichtbarkeit), bekam in den Kolonialismus verherrlichenden Filmen wie Carl Peters aber auch größere Sprechrollen. Er bleibt notwendig eine Leerstelle in Knopfs Film, von ihm sind keine Selbstzeugnisse überliefert ("Statisten werden nicht interviewt"), nur einige Bilder und Filmausschnitte existieren sowie ein Briefkopf, der jene Treue bekräftigt, die die Kolonialherren an ihren eingeborenen Untergebenen schätzten. Was er selbst über die Rollenbilder dachte, in denen er gefangen war, ist unbekannt. Anscheinend ließ er sich gern in Uniform fotografieren. Mit detektivischem Spürsinn hat Knopf alle Dokumente ausgegraben, in denen sich seine Spur aufnehmen lässt. Dabei treten haarsträubende Erkenntnisse zu Tage, etwa Rassengesetze, die von Nazis bereits für neu zu erobernde Kolonien verfassten. Als es für Carl Peters nicht genug schwarze Statisten gab, wurden französische Kriegsgefangene zwangsrekrutiert. Der von Jule Böwe mit heiser abgeklärter Stimme vorgetragene Kommentar kostet die bitteren Ironien dieses deutschen Lebens (der Film schwenkt einmal zielstrebig auf den so lautenden Untertitel von Carl Peters) aus.
Theodor Michael hingegen, der nach dem Krieg eine Universitätskarriere machte und zeitweilig für den BND tätig war, kann noch der Protagonist seiner eigenen Lebensgeschichte sein. Er nimmt als Gesprächsteilnehmer an einer kleinen Veranstaltungsreihe zu afrodeutschen Darstellern in Babelsberg auf, die das Filmmuseum Potsdam an den ersten beiden Berlinale-Tagen im Programm hat. Auch Majubs Reise wird vorgeführt. Das ist zwar eine reizvolle Alternative zum Roten Teppich am Potsdamer Platz. Aber wie viele Interessierte werden es sich erlauben können, am 5. und 6. Februar vom Festival zu desertieren? Andererseits passt diese Terminplanung zum Thema: Waren Husen, Michael und ihre Schicksalsgenossen damals nicht auch zur falschen Zeit am falschen Ort?
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