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Was gewisse saisonale Rituale angeht, halte ich es mit Oscar Wilde: "Gute Vorsätze sind Schecks ausgestellt auf eine Bank, bei der man kein Konto hat." Natürlich nehme auch ich mir eine Menge Dinge vor. Aber allein schon mein Arbeitsalltag ist eine kontinuierliche Lektion in Vergeblichkeit: Wann wäre ein Text schon einmal so geworden, wie ich ihn geplant oder mir erhofft habe? Zudem frage ich mich, warum man gute Vorsätze (hat man je von schlechten gehört?) zu Jahresbeginn fasst und nicht aus gegebenem Anlass, zum Beispiel nach einem Arztbesuch, einem verpassten Zug oder einer Scheidung? Die Zukunft hält sich schließlich nicht an den Kalender, sondern fordert ständig unsere Bereitschaft.

Zwei Gedanken, die mir nicht erst zur Jahreswende durch den Kopf gehen, betreffen Länge und Aktualität meines Blogs. Warum sollte es mir nicht doch mal gelingen, mich kürzer zu fassen? Und warum bin ich kein schnellerer Autor? Der Anlass dieses Eintrags beispielsweise liegt gut drei Wochen zurück. Am 16. Dezember fand die zweite Veranstaltung der Filmakademie zur Zukunft des Kinos statt, auf die ich schon in am 20.11. hingewiesen habe. Auf dem Programm stand zunächst ein Vortrag von Rikke Ennis über ihre Arbeit bei TrustNordisk, dem Weltvertrieb für skandinavische Kino- und TV-Produktionen. Das ist sozusagen ein nordischer Kombinierer, der Autorenfilme von Lone Scherfig, Thomas Vinterberg u.a. ebenso herausbringt wie Mainstream und nicht zuletzt die beliebten Krimi-Adaptionen. Ein Weltvertrieb stellt das Bindeglied dar zwischen den Produzenten und den Verleihern in den jeweiligen Territorien.

Natürlich beschäftigte sich Rikke Ennis wesentlich mit der Digitalisierung. Für sie stellt sie die größte Umwälzung seit Einführung des Tonfilms dar: Als der Prozess abgeschlossen war, dachte alle Welt, man könne nun zum Geschäft zurückkehren, tatsächlich hatten sich dessen Spielregeln jedoch völlig verändert. Der DVD-Markt ist eingebrochen, aber Video on demand hat diese Lücke bisher noch nicht geschlossen. Der Kampf um das höchste Gut in diesem Geschäft, die Aufmerksamkeit, ist komplizierter geworden. Meist entscheidet bereits der erste Eindruck, den das Publikum von einem Film gewinnt. Das führte sie am Beispiel von "Nymphomaniac" vor, dessen Marketing zwar brillant und zweifellos zukunftsträchtig war, aber nicht den erhofften Erfolg zeitigte. Die Kampagne war in der Tat ziemlich ausgeklügelt, angefangen von den ersten Szenenfotos, die in großen Tageszeitungen wie dem "Guardian" und "Bild" veröffentlicht wurden. Auch die Plakatmotive erregten Aufsehen – an die Orgasmus-Simulation der Hauptdarsteller werden Sie sich zweifellos erinnern. Aber das Publikum blieb, vor allem in den USA, in Scharen fort. Falls daraus Lehren zu ziehen wären, trug Ennis sie nicht vor. Lag es an der Ungewissheit, welche Fassung die Zuschauer nun wann und wo zu sehen bekamen? Warum sollten sie sich die jugendfreie Version anschauen, wenn die doch erklärtermaßen kein Director's Cut war? Ist es möglich, dass die Marketingkampagne zu raffiniert war? Sie machte den Film zu einem Ereignis lange bevor er herauskam. Das Publikum konnte an ihm teilhaben, ohne sich die Mühe machen zu müssen, ins Kino zu gehen.

Eine Aufzeichnung ihres Vortrags könnte, wie der von James Schamus im November, mittlerweile auf der Website der Filmakademie stehen (weshalb es gar nicht so schlimm ist, dass mein Eintrag solche Verspätung hat: www.deutsche-filmakademie.de). Was mir vor allem im Gedächtnis bleiben wird, ist die nicht so neue Erkenntnis, das sich am besten Erwartungen verkaufen lassen: Die meisten Verträge werden auf Filmmärkten schon vor Drehbeginn eingefädelt, die Neugierde wird durch Teaser oder Drehbücher geschürt. Womit wir wieder bei Oscar Wildes ungedeckten Schecks wären.

Ennis' Vokabular richtete sich an ein Fachpublikum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der Einzige im Saal war, der nicht wusste, was "Day and Date" heißt oder sich hinter dem Kürzel "MG" verbirgt. Ich habe es mir nachher rasch erklären lassen. Deshalb als Fußnote, falls Sie sich den Vortrag anschauen wollen: Day & date bedeutet, dass ein Film gleichzeitig im Kino und als Video on Demand herauskommt (womit Sony, aus der Not geboren, bei "The Interview" einen beachtlichen Starterfolg verzeichnen konnte; ich glaube, der englische Verleih von Lecontes "A Promise" hat sich für ein ähnliches Modell entschieden und ihn parallel zum Kinostart auch auf DVD herausgebracht), MG wiederum steht für die Minimal Guarantee, die ein Verleih für einen Film zahlen muss.

So, nun hat es auch diesmal nicht mit den Vorsätzen geklappt. Er ist wieder länger geworden als geplant. Dabei hatte ich mir einen Trick ausgedacht, um diesmal den Eindruck von Kürze zu erwecken: Ich habe den Eintrag zweigeteilt, denn es gab an diesem Abend noch einen zweiten Vortrag, der übrigens weitaus spannender war. Über den können Sie morgen lesen. Eine Minimalgarantie gebe ich vorsichtshalber nicht ab.

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