Storniert
Dass Pressevorführungen kurzfristig abgesagt werden, kommt zuweilen vor und wäre an dieser Stelle eigentlich nicht der Rede wert. Früher geschah das mitunter, wenn die Filmkopie nicht rechtzeitig eintraf; und auch die digitale Projektion hat ja gelegentlich noch ihre Tücken. Auf „Unter Beobachtung“, der am gestrigen Spätnachmittag in Berlin gezeigt werden sollte, hatte ich mich schon gefreut. Was ich zuvor über ihn gelesen hatte, versprach einen kompakt, bündig erzählten Spionagethriller (96 Minuten, das ist doch mal eine schön altmodische Länge!) mit einer erfreulichen Besetzung (Eric Bana, Rebecca Hall, Ciaran Hinds, Denis Moschitto). Das Drehbuch stammt von Steven Knight (Kleine schmutzige Tricks, Tödliches Versprechen), was einen komplex charaktergetriebenen Plot in Aussicht stellt; Regie führt John Crowley, dessen „Boy A“ bemerkenswert ist.
Die Vorführung fand nicht statt, da der Verleih sich kurzfristig gegen einen Kinostart entschied und ihn statt dessen, wie es im Schreiben der Presseagentur hieß, direkt im Home Entertainment vertreiben will. Es wunderte mich ohnehin, dass er in unsere Kinos kommen sollte: ein britischer Genrefilm, der womöglich einfach nur aus dem Wunsch des Autors und der Produzenten entstand, eine packende Geschichte mit zeitaktuellem Hintergrund (Terror, Überwachung im öffentlichen und privaten Raum– der Originaltitel lautet „Closed Circuit“) und ohne spektakulärem Aufwand an Spezialeffekten zu erzählen. Dieses Kino einer ästhethischen und kommerziellen Mittellage, in dem nicht gleich die ganze Welt auf dem Spiel steht, ist ja heutzutage weitgehend weggebrochen. Andererseits hätte „Unter Beobachtung“ bei seinem geplanten Kinostart am 26. Juni im Actionsegment wenig Konkurrenz gehabt; es laufen in der Woche eine Disneykomödie, ein Kinderfilm, zwei Dokumentarfilme und eine Künstlerinnenbiographie aus Frankreich an. Aber womöglich hat sich ein Mitarbeiter des Verleihs den IMDB-Eintrag zum Film angesehen, unter dem als einziges keyword vermerkt ist: box office flop.
Die Wortwahl der Ausladung ist mithin bezeichnend. „Direkt“ impliziert, dass ein Umweg vermieden wird. Darin klingt noch die Logik eines vor-digitalen Geschäftsmodells an, derzufolge ein Film im Kino einen Alibistart erhält, damit die Folgerechte (Video,Fernsehen) teurer verkauft werden können. Seither hat straight to video jedoch etwas von seinem schmachvollen Nimbus verloren; spöttisch kommentiert wird dieser Vertriebsweg vor allem, wenn es um Nicolas-Cage-Filme geht. Es sieht zwar momentan so aus, als läge die Zukunft im Home Entertainment. Der Goldstandard ist es noch nicht. Ist im Gegenzug der Kinostart nach wie vor die Königsdisziplin, in der sich ein Film bewähren muss? Ich vermute, diese Vorstellung wird sich noch eine ganze weile in den Köpfen der Zuschauer (egal welchen Alters) halten. Die Aufmerksamkeit, die er generiert, ist viel größer. Der „direkte“ Weg ist natürlich kostengünstiger. Wenn „Unter Beobachtung“ auf DVD erscheint, werde ich überprüfen, ob er tatsächlich zu klein fürs Kino ist.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns