Kein Film ohne Titel
Was macht einen guten Filmtitel aus? Er sollte benennen, worum es geht. Bilder entstehen lassen vor dem Auge dessen, der ihn liest. Es wäre nicht schlecht, wenn er provoziert und verlockend klingt. Eigentlich sollte er auch helfen, einen Film von seinen Konkurrenten zu unterscheiden. Heute scheint es angesichts der zahllosen Remakes, Sequels, Prequels und Reboots so, als müsse er vor allem ein Markenzeichen sein mit Wiedererkennungswert. Andererseits konnte man schon in den 50ern die Filme von Yasujiro Ozu verwechseln: Meist führten sie eine Jahreszeit, mal früh, mal spät, im Titel.
Fürwahr, ein weites Feld. Aus drei Richtungen wurde ich in den letzten Tagen immer wieder auf diese Frage gelenkt. Es fing an mit der Nachricht vom Tod des wunderbaren Gottfried John, den ich mit „Berlin Alexanderplatz“ schätzen lernte. Kaum einer der Nachrufer auf ihn (der schönste Nekrolog stammt, wie ich finde, von Harald Jähner: http://www.berliner-zeitung.de/kultur/zum-tod-von-gottfried-john-so-einer-verblasst-nicht,10809150,28300208.html ) versäumte es, dessen erste Zusammenarbeit mit Fassbinder zu erwähnen: „Acht Stunden sind kein Tag“. Wie viel in diesem Titel steckt! Sofort evoziert er ein Milieu, eine Lebensweise, ein Unbehagen, ein gesellschaftliches Aufbegehren. Aus heutiger Sicht bringt er Zeitgeist auf den Punkt. Das war zwar eine TV-Serie, der Titel gewann dadurch noch einmal eine andere Macht der Zuschauerbindung. Aber er hat mit etlichen Fassbinder-Titeln gemeinsam, das Zeug zum geflügelten Wort zu haben. Da gibt es viele unvergessliche Kandidaten: „Liebe ist kälter als der Tod“, „Angst essen Seele auf“. Aufhorchen lassen auch „Götter der Pest“, „Warum läuft Herr R. Amok?“, „Warnung vor einer heiligen Nutte“, „In einem Jahr mit 13 Monden“; „Faustrecht der Freiheit“ ist toll, weil man da zuerst an einen Western denken muss. Auch „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ mochte ich immer (hat sie nur eine?). „Händler der vier Jahreszeiten“ ist wiederum ein Titel, der mit den Jahren gewinnt, vielleicht gerade weil die Berufsbezeichnung aus der Umgangssprache verschwunden ist und durch Gemüsehändler oder Türke (zumindest in Berlin) ersetzt wurde.
Fassbinders stärkster Herausforderer in dieser Disziplin ist hier zu Lande Alexander Kluge, mit dem ich mich nach langer Zeit im Auftrag des Goethe-Instituts wieder beschäftigte. Seine Titel sind anspielungsreich, stoßen vor in ein ungekanntes Terrain der Ironie, Phantasie und philosophischen Refelxion. Sie sind den Filmen an List ebenbürtig. „Abschied von gestern“ stand noch programmatisch für die Abkehr von Papas Kino. Von „Die Artisten in der Zirkuskuppel - ratlos“ an erregen sie Aufsehen. Ich erinnere mich, wie Björn Engholm diesen Titel einmal im Munde führte, bei einem Fernsehinterview oder einer Debatte, was allerdings meinen Verdacht nährte, er wirke vielleicht eine Spur zu intellektuell und abgehoben für die Wählerschaft einer Volkspartei. Seine weitere Politkarriere gab mir dann ja recht.
Ich mag auch die einfachen Kluge-Titel, zum Beispiel „Die Macht der Gefühle“ oder „Vermischte Nachrichten“; „Gelegenheitsarbeit einer Sklavin“ ist in diesem Genre unschlagbar. Später werden seine Filmtitel komplizierter: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“ verbindet Poesie und politischen Pragmatismus, „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ ist ein bestechendes Plädoyer gegen die Diktatur des Jetzt. „Nachrichten aus der ideologische Antike“ wird Kluges Zielpublikum ohne Zweifel auch entzückt haben. Ich finde es nur schade, dass er „Willi Tobler und der Untergang der 6. Flotte“ später umbenannte. Der hat mich sehr rätseln lassen: zeigt er einen schuldhaften Zusammenhang auf? Unter einem Willi Tobler stellt man sich eigentlich einen harmlosen Zeitgenossen vor.
Momentan schreibe ich gerade eine Geschichte über eine der vielen, weitverzweigten Dynastien im französischen Kino, in deren Mittelpunkt die Schauspielerinnen Marlène Jobert und Eva Green stehen. Zu Jobert fällt mir augenblicklich „Wir werden zusammen nicht alt“ ein, was zweifellos der genialste Titel für einen Beziehungsfilm ist. Der Regisseur Maurice Pialat besaß ohnehin ein Talent, die Zuschauer mit der Wahl seiner Titel sofort in eine Lebenssituation, ein Verhältnis oder ein Lebensalter hineinzuziehen: „Nackte Kindheit“, Mach erst mal Abitur“, „Auf das, was wir lieben“, „Die Qual vor dem Ende“ (das Original ist rotziger: „La gueule ouverte“). Wer könnte Pialat im Weltkino seinen Titel streitig machen? Der Frage können wir mal nachgehen, wenn Sie und ich mehr Muße haben.
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