Brainstorming
Falsche Fährten sind nicht zu verachten. Oft führen sie auf ergiebiges Terrain. In der letzten Woche schickte mich ein Redakteur in die Pressevorführung von "Transcendence", dem heute anlaufenden Science-Fiction-Thriller mit Johnny Depp. Üblicherweise werde ich für derlei Hollywood-Blockbuster selten besetzt. Aber einerseits musste die Kritik über die Osterfeiertage fertig werden und darüber hinaus hat dieser Redakteur ein Gespür für originelle Fragestellungen und überraschende Perspektiven. Es ist das Regiedebüt von Wally Pfister, dem Hauskameramann von Chris Nolan. Also spekulierten wir darüber, ob es nicht zuvor schon andere Kameraleute gegeben habe, die sich für ihren Einstand im Regiestuhl genau dieses Genre aussuchten.
Ich hatte mir dafür schon einen Kalauer ("seherische Fähigkeiten") zurechtgelegt, der den Lesern der "Welt" dann glücklicherweise erspart blieb. Denn wir lagen falsch mit unserer Vermutung; obwohl Rudolph Mate und Barry Sonnenfeld einige bekannte SF-Filme gedreht haben, nimmt das Genre keine wirklich zentrale Rolle in ihren Regiekarrieren ein. Andere Quereinsteiger haben sich dort weit mehr hervorgetan, etwa Richard Fleischer und Robert Wise. die als Cutter angefangen haben. Sogleich musste ich auch an den Spezialeffekte-Magier Douglas Trumbull ("2001" etc.) denken, dessen "Lautlos im Weltall" bei seiner deutschen TV-Premiere in den 70ern einen starken Eindruck bei mir hinterlassen hat. Weit interessanter ist in diesem Zusammenhang noch seine zweite große Regiearbeit "Projekt Brainstorm", die 1983 als erster 70mm-Film seit ewigen Zeiten herauskam (wovon ich beim Kinostart in der ostwestfälischen Provinz leider wenig hatte). Vielleicht erinnern Sie sich: Die Hauptdarstellerin Natalie Wood starb während der Dreharbeiten unter noch immer ungeklärten Umständen.
Pfisters Film weist bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit "Brainstorm" auf. In beiden Filmen geht es um ein Wissenschaftlerehepaar, das an einem gemeinschaftlichen Forschungsprojekt arbeitet. In beiden Fällen geht es um die Frage, in wieweit ein Computer teilhaben kann an menschlichen Emotionen. Bei Trumbull geht es um Empathie, die Teilhabe an den Erinnerungen eines anderen. Während in "Transcendence" das innige Verbindung des Ehepaars weitgehend eine Behauptung bleibt, meine ich mich zu entsinnen, dass diese in "Brainstorm" viel stärker, nachvollziehbarer ist. (Wobei es mich immer faszinierte, dass die Darsteller Christopher Walken und Natalie Wood ganz unterschiedlichen Kinogenerationen angehörten, aber der Altersunterschied zwischen ihnen gar nicht so groß war.) Beides sind in gewisser Weise Paranoia-Thriller. Bei Trumbull will das Militär die Forschungen für seine Zwecke nutzen, bei Pfister hingegen spielt das FBI eine vergleichsweise vertrauenswürdige Rolle.
"Transcendence" ist hoch ambitioniert, steckt voller philosophischer und ethischer Problemstellungen, die der Film im Rahmen seiner Genrekonventionen oft, aber nicht zwangsläufig aus dem Blick verliert. Jack Paglens Drehbuch stand zeitweilig auf der berühmten black list, welche alljährlich die aktuell in Hollywood begehrtesten Filmszenarien aufführt. Ich behaupte nicht, dass es ein Plagiat ist. Aber des Eindrucks, ein filmhistorisches déjà vu zu erleben, kann ich mich nicht erwehren. Es ist ein wenig so wie 1987, als einem niemand glauben wollte, dass "Die Nacht hat viele Augen" (mit Richard Dreyfuss und Madeleine Stowe) sowie "Der Mann im Hintergrund" (von Ridley Scott) einem halb vergessenen Film noir aus den 50ern ("Schachmatt", mit Fred McMurray und Kim Novak) mehr zu verdanken haben, als ihre Macher je zugeben würden. Wenn Sie also in "Transcendence" gehen wollen, schauen Sie doch mal, ob sie seinen Urahn nicht auch irgendwo in einer Videothek finden.
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