Auf der Suche nach dem perfekten Zuschauer
Mit Salz und Brot, den traditionellen Gaben der Gastfreundschaft, hieß Agnès Varda 2004 die Kinogänger willkommen. In ihrem zweiminütigen Filmessay montierte sie Salz- und Weizenfelder zu einer heiklen Idylle, zu einem Refugium der Verbundenheit mit der Natur und den eigenen Wurzeln.
Ein Jahr später beschwor Ken Jacobs der brandstifterische Kraft des Kinos mit gleißend flackernden Formen, stellte seinem Film aber eine Warnung voran: Er sei nicht geeignet für Menschen, die an Epilepsie leiden.
2001 wiederum bescherte Jonas Mekas den Zuschauern einen sanften Kulturschock, in dem er Wiener Folklore mit den Bilderstürmen des Avantgarde-Kinos verknüpfte: Er unterlegte Konzertaufnahmen vom hüftschwingenden Elvis sowie Fundstücke einer früheren Wien-Reise mit Strauß-Walzern. Das war keine keine schlechte Metapher für ein Festival, das auf das Zusammentreffen des Vertrauten mit dem Anderen, dem Neuen setzt.
Am letzten Donnerstag hat die "Viennale" begonnen, die herbstliche Lese des Weltkinos, die in jedem Jahr Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Mediums in einen Dialog verstrickt. Sie läuft noch bis zum 6. November, feiert momentan also gerade Halbzeit. Ein guter Zeitpunkt, um auf eine der Besonderheiten des Festivals hinzuweisen: Es leistet sich den Luxus, Filmemacher aus aller Welt einzuladen, eigens einen Trailer zu drehen. Stets sind dies solche, die zur künstlerischen Vorhut des Kinos gehören; oft sind sie dem Festival eng verbunden. In diesem Jahr fiel die Wahl auf Manoel de Oliveira, der bekanntermaßen seit mehr als acht Jahrzehnten Filme dreht und immer noch nicht zum Alten Eisen gehören mag. In seinem einminütigen Film Chafariz das Vertudes (Brunnen der Tugenden) schaut er gelassen zu, wie zwei Teufelsköpfe an dem gleichnamigen Wandbrunnen in seiner Heimatstadt Porto Wasser speien.
Die bisher 22 Trailer sind ein stolzer Beleg der internationalen Strahl- und Anziehungskraft, die das Festival seit Anfang der 1990er Jahre hat. Dafür konnte es altgediente Avantgardisten (darunter Godard und Lynch) gewinnen, aber auch jüngere Visionäre wie Leos Carax und Apichatpong Weerasethakul. Sie haben veritable Autorenfilme gedreht, die autonom und ohne Vorgaben entstanden und in ihrer kurzen Form mitunter repräsentativ für das Werk des jeweiligen Filmemachers sind oder zumindest für einen Strang darin: Stan Brakhage hat Farben direkt auf das Filmmaterial aufgetragen, Jem Cohen eine seiner urbanen Landschaften gefilmt, James Benning in einer Einstellung ein Epos über ein Stahlwerk gedreht, durch das sich ein Förderband als schöne Horizontale zieht.
Ich will ihnen nicht die Bürde auflasten, als kleine Geschichte des Experimentalfilms (oder des Festivals) deutbar zu sein. Bestimmte Entwicklungen sind dennoch erkennbar. Die ersten Trailer von Gustav Deutsch, Martin Arnold, Bruce Baillie und anderen arbeiten mit Zitaten, found footage, filmhistorischen Anspielungen und der Verfremdung archetypischer Kinobilder. Da mag das 1995 gefeierte 100. Jubiläum des Kinos noch nachgewirkt haben. Auch Chris. Markers Trailer zum 50 Jubiläum der Viennale ist eine tour d'horizon durch die Kinogeschichte, der es gewitzt gelingt, Méliès, Griffith, Welles, Godard, Warner-Bros.-Cartoons und Osama Bin Laden unter einen Hut zu bringen. (Nur so viel sei verraten: Der rote Faden ist die Suche nach dem perfekten Zuschauer.)
Die Trailer, die jedes Jahr mehrmals vor ausgewählten Filmen laufen, bewerben das Festival nicht. Sie sind keine Signatur – die Viennale hat ein eigenes Logo, das sich quietschend von Wienerischer Gemächlichkeit verabschiedet -, auch kein Motto, nicht einmal ein filmisches Geleitwort. Allerdings ergeben sich zuweilen schöne Resonanzen zwischen Trailer und Festivalprogramm. 2004 etwa schienen einige Filme auf Agnès Vardas "Viennale Walzer" zu antworten: Die Bilder sanft im Wind wogenden Ähren aus Mark Milgards elegischem Debütfilm Dandelion und die lyrische Konkretion von Alexander Dovshenkos Erde aus dem Jahre 1930 muteten wie ein unabsichtliches Echo an. Die Trailer sind wie eine Visitenkarte, die Festival und Filmemacher dem Publikum gemeinsam überreichen.
Zum 50. Jubiläum vor zwei Jahren sind sie als "20 Little Films" in einer DVD-Edition des Festivals erschienen (und bestimmt noch über den Festivalshop zu beziehen). Die seither entstandenen Trailer sind leicht im Internet auffindbar. Sie beschreiben in mehrfacher Hinsicht eine Wende. 2013 drehte Shirin Neshat einen schwarzweißen Geisterfilm (Illusions and Mirrors) mit einem echten Hollywoodstar, Natalie Portman. Er stellt eine Abkehr vom Prinzip der Autonomie her, weil er im Rahmen eines größeren Projektes für den Modekonzern Dior entstand. Auch de Oliveiras Film ist eine Art Auskopplung aus dem Film, an dem er gerade arbeitet (O Velho do Restelo), unterscheidet sich aber wohl von der Einstellung des barocken Brunnens, die in dem halbstündigen Werk zu sehen sein wird – und schürt insofern die Neugierde, was es mit ihm wohl auf sich hat. Festivalleiter Hans Hurch nennt ihn einen filmischen Haiku über das Verrinnen der Zeit und findet ihn den einfachsten und zugleich geheimnisvollsten unter den bisherigen Trailern. Ich bin nicht sicher, ob er ein Geheimnis braucht. Er ist auch so schön genug.
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