DVD-Tipp: »Fass mich an«
Vor rund 25 Jahren war es noch etwas Besonderes, als Frederic Fonteyne in »Eine pornografische Beziehung« oder Patrice Chéreau in »Intimacy« von im Grunde bürgerlichen Frauen erzählten, die sich nur zum Sex mit Männern treffen wollten. Zumindest weitgehend vorbei sind die Zeiten, in denen Frau als Schlampe diffamiert wird, nur weil sie ein Recht auf vergnüglichen Sex ohne Gefühle für sich beansprucht. Im Rahmen einer neuen Stufe der sexuellen Befreiung sind sie immer häufiger auch im Kino zu sehen, die eleganten, reiferen Frauen, die sich selbstbewusst nehmen, was ihnen guttut, so wie die von Emma Thompson gespielte Nancy in »Meine Stunden mit Leo« oder, deutlich routinierter, die von Jeanne Balibar gespielte Claudine im Spielfilmdebüt des vergleichsweise jungen Regisseurs Maxime Rappaz.
Einmal in der Woche gönnt sich Claudine in einem mondänen Hotel in den Bergen eine Auszeit. Vom Chefkellner des Restaurants holt sie Informationen über die Männer ein, die dort sitzen. Sie ist nicht sonderlich wählerisch, Hauptsache, sie reisen möglichst am nächsten Tag wieder ab. Ein, zwei Fragen, woher kommen sie, wie sehen die Häuser dort aus, die Cafés, die Straße, in der sie wohnen, dann hat sie ihre Entscheidung gefällt und fordert den überraschten Mann auf, mit ihr in sein Zimmer zu gehen. Eine klare Sache, schnörkellos, aber genussvoll, im hellen Tageslicht, und dann fährt sie zurück in ihren Alltag als Schneiderin und Mutter eines erwachsenen Sohnes mit geistiger und körperlicher Behinderung. Aus den Berichten der Männer kompiliert sie Briefe an ihren Sohn, als würde sein Vater, der sich vor vielen Jahren aus dem Staub gemacht hat, diese Botschaften aus aller Welt schicken. Irgendwann aber funkt es zwischen Claudine und dem charmanten Michael und es stellt sich die Frage, ob sich Claudine nicht insgeheim doch noch ein anderes Leben wünscht. Sie gerät ins Schwanken, zwischen dem »Laissez-moi« (Verlass mich) des Originaltitels und dem »Fass mich an« des deutschen.
VÖ: 21. März 2024
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