Buch-Tipp: H.W. Holzwarth, L. Kugelberg – Julian Schnabel

Schamlos vielseitig

Gigantische Bilder, die den Betrachter mit landschaftsgleichen Ansichten überwältigen. Der Künstler als Ego-Berserker, der riesige Leinwände im Freien statt mit Pinseln und Palette mit Besen, Schrubbern und Farbeimern bearbeitet, um sie dann nicht nur in Museen und Galerien, sondern auch auf Sportfeldern auszustellen. Kraterlandschaften aus ruppig in den Bildgrund einbetonierten Porzellanscherben und -tellern. So brachial Julian Schnabel als bildender Künstler daherkommt, so einfühlsam stellt er sich als Filmemacher in den Dienst der Lebensgeschichten von Kollegen. In ihrem Kampf für die Freiheit und gegen Widerstände sind sie immer auch eine Art Alter Ego des Regisseurs. So hat er seit 1996 ein paar der schönsten, zartesten, wildesten und wahrhaftigsten Filme über Maler gedreht: Basquiat und van Gogh. Gestische und mimische Entäußerungen, peinlich exaltierte Ausbrüche von Genie und Wahnsinn, wie sie sonst so oft in Filmen über Maler zu sehen sind, gibt es da nie. Allerdings: Es kommt ja auch selten vor, dass ein Regisseur mal wirklich weiß, was es bedeutet, zu malen, zu kreieren. In seinen Filmen macht Schnabel die Kamera zum Pinsel und erfindet dabei immer wieder poetische Bildlösungen, so wie den mit einer Fingerscherenbewegung evozierten Lidschlag von Jean-Dominique Bauby, der nach einem Schlaganfall nur noch ein Lid bewegen konnte, sein »Schmetterling in der Taucherglocke«.

Den Hauptteil des fast 600-seitigen Kunstprachtbands nehmen großformatige Abbildungen der Werke ein. Gedanklich akzentuiert werden sie von Kuratoren und Kunstkritikern, aber auch Künstlern, Musikern und Schriftstellern, die dreisprachig – englisch, französisch und deutsch – verschiedene Facetten von Leben und Werk beleuchten, die bei Schnabel untrennbar verschlungen sind. Nur ein vergleichsweise kurzes Kapitel ist den Filmen gewidmet, aber sie stehen in engem Bezug zum bildnerischen Werk, nicht nur dann, wenn Schnabel so wie 2020 mal einen großen Filmregisseur wie Martin Scorsese porträtiert. Im Vorwort, das die Performancekünstlerin und Musikerin Laurie Anderson dem Freund gewidmet hat, beschreibt sie den künstlerischen Akt als filmischen Prozess: »Wenn man ihm beim Malen zuschaut, ist es so, als würde vor unseren Augen ein Film gleichzeitig gedreht, geschnitten und vorgeführt.« Einmal habe er einen langen blauen Strich auf dem Bild gezogen: »Schaut her, was passiert, wenn ich hier einen Strich mache, es verändert alles.«

»Der Umstand, dass Julian Schnabel einer der großen Filmregisseure unserer Zeit ist, ist eigentlich skandalös«, beginnt der Schriftsteller und Drehbuchautor Daniel Kehlmann unter dem Titel »Technik des Geschichtenerzählens gebunden an ein sterbendes Tier« seinen Essay über das filmische Werk. Man müsse wohl bis in die Renaissance zurückgehen, um Beispiele »für solch ungehörige, schamlose Vielseitigkeit zu finden«, sinniert er, und: »Stets verströmen seine Filme eine unerwartete Wärme, in der Temperatur, den Emotionen, den Farben, der Verwendung von Musik und Geräuschen.« In den Filmen laufen alle Fäden zusammen, Bild, Ton, Musik, Mode, Performance: »Es ist schwer, die singuläre Gestalt von Julian Schnabel in der Kulturgeschichte einzuordnen«, schreibt Kehlmann.


 

Julian Schnabel. H.W. Holzwarth, L. Kugelberg. Taschen, Köln 2023. 572 S., 75 €.

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