Buch-Tipp: David Bellos – Jaques Tati
Jacques Tati, der einige der besten Komödien der Filmgeschichte gedreht hat, wurde von der deutschsprachigen Filmgeschichtsschreibung stiefmütterlich behandelt: ein paar Aufsätze hier und da, ein 1993 erschienener und lange vergriffener Band über Tatis Filme aus der Heyne-Filmbibliothek. Das erstaunt, weil Tati in Deutschland sowohl populär war (Auftritte in deutschen TV-Sendungen wie »V.I.P-Schaukel« und »Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre« zeugen davon) als auch die Absolution der Intellektuellen (in diesem Fall der französischen Nouvelle Vague, angeführt von FranÇois Truffaut) erhielt. Es ist eine verlegerische Großtat, dass David Bellos’ Standardwerk, im englischen Original bereits 1999 erschienen, nun seine deutschsprachige (und behutsam erweiterte) Veröffentlichung erfahren hat.
Der Leser erfährt wirklich viel: über den Menschen, den Regisseur, das Werk. Das ist manchmal überraschend unerfreulich – seiner unehelichen Tochter Helga gegenüber hat sich Tati wirklich schäbig verhalten –, aber letztlich steht nirgendwo geschrieben, dass Genies besonders zuvorkommende Menschen zu sein haben. So nimmt Tatis Genius den meisten Raum des Buches ein. David Bellos rekonstruiert akribisch die Entstehungs- und Produktionsgeschichte, beschreibt die Rezeption des Werks in Frankreich und im Ausland und liefert so ganz en passant eine exakte Exegese der Filme – trotz des Umfangs ohne jede Weitschweifigkeit. Allein seine Ausführungen über das Verhältnis von Ton und Wort anhand von »Tatis Schützenfest« sind meisterhaft. Ein Kapitel für sich ist die Finanzierung der aufwendigen, teuren Filme. »Playtime« etwa wurde deshalb zu einem finanziellen Desaster, weil die Erwartungen auf den amerikanischen Markt sich nicht erfüllten. Im Gegensatz zu den vorher entstandenen Filmen interessierte sich kein einziger amerikanischer Vertrieb für den Film. Und die Finanzierung von Tatis Spätwerk »Trafic« (unter anderem mit Mitteln des schwedischen Fernsehens) ist recht eigentlich eine absurde Komödie.
Das Schlusswort gehört dem Autor dieses großen Lesevergnügens: »Tati ging es nicht darum, die Welt zu verändern, sondern darum, uns zu helfen, sie mit weniger Entsetzen zu betrachten.«
David Bellos: Jacques Tati. Sein Leben und seine Kunst. Aus dem Engl. von Angelika Arend. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024. 542 S., 32 €.
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