Buch-Tipp: Amazing Ameziane – Quentin Tarantino
Sie ist in den letzten Jahren ein regelrechtes Genre geworden: die Comic-, Pardon, Graphic-Novel-Biografie. Berühmte Maler bekamen eine, von Hokusai bis Edward Hopper, Popstars ohnehin, Johnny Cash so gut wie die Beatles, aber auch historische Charaktere, Hitler natürlich, aber auch John F. Kennedy, Wissenschaftler*innen, Einstein und Marie Curie, aber auch Filmemacherinnen wie jüngst Alice Guy. Nun also Quentin Tarantino, als Abschluss einer »Cine-Trilogie«, die der Autor und Zeichner »Amazing« Améziane mit Bänden zu Francis Ford Coppola und Martin Scorsese begann.
Die künstlerische und persönliche Vita von Améziane entspricht seinem Sujet perfekt. Er wuchs in den siebziger Jahren mit vergleichbaren popkulturellen Vorlieben auf. Mit Italowestern, Bruce-Lee-Filmen, Frank-Miller-Comics und klassischer Soulmusik. Er arbeitet in diversen Feldern, hier als Illustrator, dort als Zeichenlehrer, dann als Drehbuchautor, immer mit einem popkulturellen Wissen, das dem von Quentin Tarantino kaum nachsteht, und mit einer ebenso vergleichbaren Mischung aus Nerdtum, Frechheit und Genialität.
Erst 2001 konnte er seinen ersten Comic veröffentlichen. Der Noir-Comic »Clan« entstand indes als Nebenprodukt zu Amézianes großem Plan, der Comic-Adaption des Romans »Cuatro Manos« des mexikanischen Krimiautors Paco Ignacio Taibo II, der in seinen wunderbaren Genre-Pastiches direkte und dreckige Wirklichkeit, absurde Magie und Politik zusammenbringt. Wenn man Amézianes Comics und Taibos Romane kennt, versteht man, was die beiden verbindet – und was dann auch auf Tarantino hinweist. Die Lust, die Genrekonventionen zu verlassen und mit dem eigenen Medium zu spielen, die Verbindung sehr persönlicher Elemente mit dem kollektiven (Unter-)Bewusstsein. Den Beinamen »Amazing« legte sich Améziane übrigens erst 2013 zu, bei der Veröffentlichung von »Bagmen«, die noch einmal zeigt, dass dieser Autor von amerikanischen (und japanischen) Traditionen der neunten Kunst mindestens so beeinflusst ist wie von den frankobelgischen.
Zu seinen auch bei uns bekannten Arbeiten gehört seine ebenso textgetreue wie stimmungsvolle Adaption von George Orwells »1984«. Außerdem hat er schon einige Comic-Biografien geschaffen, neben der Cine-Trilogie die von Angela Davis und Muhammad Ali. Der Trick ist immer wieder die First-Person-Perspektive: Améziane illustriert teils aus Texten oder Gesprächen, teils imaginierte »Selberlebensbeschreibungen« seiner Protagonisten. Dabei entsteht ein intimes und traumhaftes Geflecht, eine fiktionale Autobiografie, wenn es so etwas gibt. Améziane kriecht förmlich in die Person Tarantino hinein, freilich in eine, die schon längst zum Mythos und Markenzeichen geworden ist. Denn wenn Quentin Tarantino neben dem Filmemachen etwas kann, dann ist es die Selbststilisierung. Natürlich darf er selbst zu dem Buch beitragen, unter anderem einen Text über Bruce Lee.
Man merkt, dass Améziane auch als Filmautor unterwegs ist. Er setzt die Stilmittel beider Medien sehr bewusst und, wo es angebracht ist, auch humorvoll ein. In »Quentin Tarantino« gibt es Comics-im-Comic, Filmzitate noch und nöcher, Wechsel von realistischen Bildern zu Funny Strips, und das Ganze beginnt mit einem etwas spukhaften Besuch in »QTs Bar Gotanda« in Tokio und mit dem Angebot eines geheimnisvollen Drinks, der aber genauso gut ein gewöhnlicher Whisky sein könnte. Dann erleben wir als Rückblende Quentins Kindheit mit seiner Mutter Connie in der Manier von »Calvin und Hobbes«; es gibt surrealistische Szenen wie kartenspielende Hunde, ein paar psychedelische Effekte und viele Seiten, die nicht nach der üblichen Comic/Graphic-Novel-Art in Panels und Bildern mit Sprechblasen und Erzählkästen gestaltet sind, sondern eher wie Scrapbooks oder illustrierte Tagebücher. Die Vielfalt der Stile und der Methoden ist enorm; man hat das Empfinden, da tobt sich ein Talent mächtig aus, eben so, wie es auch der Protagonist getan hat. Das ist, man kann es nicht anders sagen, ein Heidenspaß, und ein paarmal gibt es sogar für Tarantino-Fans etwas Neues zu erfahren: Da war die Idee, aus dem Landa in »Inglourious Basterds« einen »Nazi-Detektiv« zu machen … Okay, auch für QT gibt es Grenzen des Geschmacks.
Woran es vielleicht ein wenig hapert, ist die grafische continuity. Quentin ist von Panel zu Panel nicht ganz er selbst. Anders gesagt: Porträtkunst ist nicht Amézianes größte Stärke. Wie bei Scorsese denkt man sich auch beim Tarantino-Band, dass es sich unmöglich um das reale Vorbild handeln kann – da muss ein Schauspieler mit einer gewissen äußeren Ähnlichkeit Modell gestanden haben. Oder mehrere davon. Tarantino ist hier nicht ein, sondern er ist drei, vier Comichelden geworden. Passt dann aber auch schon wieder. »Quentin Tarantino« ist eher ein grandioses Sampling als ein analytisches Porträt. Dieser kolossale, fatale und faszinierende Reiz der Oberfläche … wie die Fortsetzung von Tarantino-Filmen mit anderen Mitteln.
Amazing Ameziane: Quentin Tarantino. Splitter Verlag, Bielefeld 2024. 240 S., 35 €.
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