Buch-Tipp: Quentin Tarantino – Cinema Speculation

Hippies, Horror, Blaxploitation

Sollte man einen Menschen beneiden, der mit sieben Jahren in einem Doppelprogramm »Joe« und »Where's Poppa?« sehen durfte? Irgendwie schon, zumindest wenn man weiß, dass es um John G. Avildsens unbarmherzigen Rachefilm und Carl Reiners boshafte Familiensatire geht. Andererseits wäre ich als Siebenjähriger bestimmt verstört gewesen von der Gewalt in »Joe« und hätte von den Scherzen in »Where's Poppa?« nur über wenige gelacht. Quentin Tarantino haben sie offenbar aber nicht geschadet, die regelmäßigen Kinobesuche zusammen mit seinen Eltern, später mit der Mutter und deren jeweiligem Freund oder auch mit einem dieser Freunde allein. Mit dem sah er 1972 den Blaxploitation-Film »Black Gunn« mit Jim Brown – »mein erster Film in einem Kinosaal (mit 1400 Plätzen), besetzt nur mit Schwarzen in einem schwarzen Viertel«. Verständlich, dass das ein Erweckungserlebnis war. 

In »Cinema Speculation« schreibt Tarantino über das Kino seiner Kindheit und Jugend, über die Filme, die er damals liebgewann und die ihm im Gedächtnis blieben. Er tut dies aus der Perspektive eines neugierigen Zuschauers; sein Enthusiasmus teilt sich dem Leser in jeder Zeile mit, gerade auch wenn er nicht verschweigt, dass er manches aus dem Abstand der Jahre anders bewertet. Manchmal fügt er Informationen über die Produktion der Filme hinzu, gewonnen aus Kontakten zu den Beteiligten, etwa zur damaligen Ehefrau von Steve McQueen, wenn es um »die Ausgeburt der Coolness« in den sechziger Jahren geht, oder zu Walter Hill, damals Drehbuchautor, der vor allem Details über Sam Peckinpahs »The Getaway« weiß. 

Schön sind auch kleine Würdigungen von Nebendarstellern wie Neville Brand und Bill McKinney oder auch »das tolle Ensemble von »The Outfit« (Revolte in der Unterwelt), bedenkenswert seine kritischen Anmerkungen zur Karriere von Brian De Palma (»wie also wurde ein Hippie-Gegenkultur-Satiriker zum ›modernen Meister des Makabren‹?«), seine Ehrenrettung von Peter Bogdanovichs Henry-James-Adaption »Daisy Miller« und speziell des Spiels von Cybill Shepherd darin. Es geht um Filme zwischen 1968 (»Bullitt«) und 1981 (Tobe Hoopers »The Funhouse«), anerkannte Klassiker wie »Taxi Driver« und umstrittene wie John Flynns »Rolling Thunder« (erste Drehbuchfassung: Paul Schrader) – eine so vergnügliche wie bereichernde Lektüre.

Die deutsche Ausgabe des Buchs verbindet der Verlag mit einem Erziehungsauftrag: Statt die Cineasten im Register einfach nachschauen zu lassen, welche ihrer Lieblingsfilme, -schauspieler und -regisseure im Buch behandelt werden, müssen sie diese Arbeit hier selbst leisten. Dass man den Schauspieler Barry Brown bei dessen erster Nennung als Harry Brown identifiziert, darf man wohl als Hommage an den britischen Michael-­Caine-Film gleichen Namens werten. Und natürlich machen sich Verlag und/oder Übersetzer einen Spaß daraus, weitere Fehler einzustreuen, etwa bei den deutschen Titeln mehrfach die einer früheren bzw. späteren Verfilmung anzugeben oder aus der britischen Kritikerin Dilys Powell einen Mann zu machen – »das stört keinen großen Geist«, wie Karlsson vom Dach sagen würde.


Quentin Tarantino: Cinema Speculation. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 397 S., 26 €.

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