Netflix: »Der Untergang des Hauses Usher«
»Der Untergang des Hauses Usher« (Serie, 2023). © Ricardo Hubbs/Eike Schroter/Netflix
Am Ende regnet es Leichen vom Himmel. Schuld an diesem hunderttausendfachen Tod ist ein skrupelloser Pharmaunternehmer. Mit einem verschreibungspflichtigen Medikament scheffelte er Milliarden. Doch die letale Nebenwirkung seiner Pillen ist ihm egal. Nur das Geld zählt. Für den Reichtum opfert er sogar all seine Kinder. Auf dieser Grundidee basiert eine Serienadaption des Poe-Klassikers »Der Untergang des Hauses Usher«.
Realisiert hat diesen Achtteiler der Gruselspezialist Mike Flanagan. Unter anderem mit »Spuk in Hill House« und »Spuk in Bly Manor« setzte er Maßstäbe für psychologisch ausgefeilte Schauergeschichten. Eine Neubearbeitung der oft verfilmten Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe schien naheliegend. Flanagan hat den 1839 entstandenen Plot entstaubt und in die Gegenwart verlegt. Aus dem nervlich zerrütteten Spross eines Adelsgeschlechts, der sich in die Finsternis eines mit ihm verfallenden Anwesens zurückgezogen hat, wo er nur noch gedämpfte Musik hören und keine gewürzten Speisen zu sich nehmen kann, wurde ein beinharter Unternehmer, der gemeinsam mit seiner Schwester Madeline einen multinationalen Konzern leitet.
Zahlreiche neue Figuren dehnen den schmalen Plot zum Serienformat. So widmen sich sechs der acht Folgen jeweils Roderick Ushers erwachsenen Kindern. Unter dem Regime des strengen Patriarchen versuchen diese wohlstandsverwahrlosten Kids, sich mit verblasenen, verruchten oder grenzwertigen Geschäftsmodellen zu etablieren. Die neu hinzugefügten Charaktere, unter ihnen Sauriyan Sapkota als »Gucci Caligula«, werden jedoch mehr oder weniger in der gleichen überdrehten Tonlage gezeichnet und bleiben daher vergleichsweise eindimensional.
Das unsanfte Ableben dieser Usher-Kinder steht jeweils im Zeichen berühmter Motive wie »Der schwarze Kater« oder »Die Grube und das Pendel«. Mit diesen Zitaten wird Poe eher wie ein Markenzeichen gepflegt. Denn im Gegensatz zum Meister des subtilen Horrors, bei dem Geister und Dämonen in den Tiefen seelischer Abgründe hausen, setzt Showrunner Flanagan das Übernatürliche wieder recht konventionell in Szene: Als Gegenleistung für Reichtum und Erfolg verkaufen Madeline und Roderick Usher ihre Seelen einem Teufel beziehungsweise einer Teufelin, die dafür ihren Aufstieg protegiert.
Um die Boshaftigkeit des skrupellosen Geschäftsgebarens der Usher-Geschwister zu illustrieren, setzt Flanagan auf ein Motiv, das bereits zwei andere Serien durchdeklinierten. Sowohl »Dopesick« als auch »Painkiller« beleuchteten den Skandal um jenes verschreibungspflichtige Medikament namens Oxycontin, das die Opioidkrise in den USA auslöste. Dieses vermeintliche Wundermittel – in der Poe-Adaption Ligodon genannt – verspricht Schmerzpatienten die Erlösung von ihrer Pein, ohne Suchtgefahr.
Tatsächlich wurden unzählige ahnungslose Patienten abhängig: Und genau mit ihren Qualen machte der gewissenlose Roderick Usher sein Vermögen. Während diese Oxycontin-Junkies in »Painkiller« ein Gesicht erhalten, interessiert Flanagans Poe-Adaption sich für jene Leichen, die anonym vom Himmel regnen, nicht wirklich. Und aus diesem Grund erscheint die emphatische Kapitalismuskritik in dieser Serie am Ende doch ein wenig dick aufgetragen.
Auch die motivische Verknüpfung zwischen der im Jetsetmilieu angesiedelten Geschichte und dem klassischen Spukhausmotiv funktioniert nicht so wirklich. Im literarischen Universum Poes lebt jeder, wie Roderick Usher einmal sagt, »in seiner ganz persönlichen Hölle«. Das Unheimliche erweist sich also buchstäblich als das »Heimliche«. Dieses beklemmende Gefühl vermittelt Flanagans Adaption nur in einigen gelungenen Momenten. Und so verwundert es nicht, dass auch das eigentlich hochkarätige Ensemble um Bruce Greenwood als Roderick und Mary McDonnell als Madeline kaum darstellerische Akzente setzt.
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