Disney+: »A Murder at the End of the World«
»A Murder at the End of the World« (Serie, 2022). © Eric Liebowitz/Chris Saunders/FX/Disney+
Eine Gruppe von unterschiedlichen Menschen an einem entlegenen Ort, wo es dann mindestens eine Leiche gibt und die Frage nach Täter oder Täterin im Raum steht – dieses gerne als Whodunit bezeichnete und nicht zuletzt durch Agatha Christie populär gemachte Genre erfreut sich seit geraumer Zeit wieder gesteigerter Beliebtheit. Die »Knives Out«-Filme verpassten dem Konzept frischen Wind, bei Apple TV+ begeisterte zwei Staffeln lang »The Afterparty«, Adam Sandler und Jennifer Aniston trieben das Ganze in den »Murder Mystery«-Filmen noch weiter auf die Spitze und bei Disney+ steht bereits die Serie »Death and Other Details« in den Startlöchern. Genau dort ist nun auch »A Murder at the End of the World« zu sehen – und wem die Namen des SchöpferDuos Brit Marling und Zal Batmanglij etwas sagen, der ahnt schon, dass dem Whodunit-Konzept hier der eine oder andere Twist verpasst wird.
Die abgeschiedene Location, an die es das Personal dieser sich über sieben, zwischen 40 und 75 Minuten langen Episoden erstreckenden Geschichte verschlägt, ist ein luxuriöses High-End-Resort im verschneiten Island. Tech-Milliardär Andy Ronson (Clive Owen) und Ehefrau Lee (Marling selbst), die einst als Coderin für Furore sorgte, haben hierher zum Gedankenaustausch über die Zukunft geladen. Lauter smarte Köpfe werden im Privatjet Richtung Norden geflogen, darunter eine Astronautin, ein Experte für Robotertechnik, eine schwer reiche Smart-City-Entwicklerin oder ein angesagter Filmemacher. Und als jüngste in der Runde die Hackerin Darby Hart (Emma Corrin), die allerdings eine gewisse Bekanntheit vor allem durch ein Buch erreicht hat, in dem sie beschreibt, wie sie sich gemeinsam mit ihrem früheren Freund an die Fersen eines Serienkillers heftete, um Gerechtigkeit für die von ihm getöteten Frauen zu schaffen.
In Rückblenden und letztlich als eine Art Meta-Kommentar zeigt »A Murder at the End of the World« die Ermittlungen, die Darby und Bill (Harris Dickinson) damals auf eigene Faust angestellt haben, was auch deswegen wichtig ist, weil eben dieser Bill vollkommen unerwartet ebenfalls zu Ronsons Gästen gehört. Das allein schon bringt Darby ein wenig aus der Fassung, doch als dann auch noch eine:r der Anwesenden tot aufgefunden wird, kommen noch ganz andere alte Instinkte wieder in ihr hoch. Denn während der Gastgeber und die meisten anderen den Tod als Unfall abtun, ist Darby sicher, dass es sich um Mord handelt. Je intensiver sie nach Hinweisen für ihre Theorie sucht und die anderen beobachtet, desto mehr scheint jede:r als Täter*in infrage zu kommen. Und desto wahrscheinlicher wird es, dass es nicht bei einer Leiche bleiben wird.
Denkt man an Marlings und Batmanglijs bisherige gemeinsame Arbeiten, also die Kinofilme »Sound of My Voice« und »The East«, aber vor allem die von manchen kultisch verehrte Serie »The OA«, erscheint einem die Plotbeschreibung ihres jüngsten Projekts vergleichsweise konventionell. Und tatsächlich: »A Murder at the End of the World« ist nie so schräg, experimentell und abgehoben, wie man es vielleicht erwartet. Doch das Showrunner-Duo, das sich dieses Mal auch die Regie geteilt hat, hat mehr als genug Ideen sowohl visueller als auch inhaltlicher Art, um zu verhindern, dass hier auch nur irgendetwas als erwartbar oder gar gewöhnlich bezeichnet werden könnte.
Thematisch wird eine ganze Bandbreite von Sujets verhandelt, die aktuell den gesellschaftlichen Diskurs dominieren. Über die Klimakatastrophe und Nachhaltigkeit wird debattiert, es geht um Misogynie im Arbeitsalltag und um Arbeitsroboter als potenzielle Heilsbringer. Selbstverständlich ist in diesem Luxus-Hotel der persönliche Butler eines jeden Gastes eine KI. Dass manches dieser Themen nur en passant verhandelt wird, ist genauso Absicht, wie es gewollt ist, dass der Kriminalfall im Kern der Geschichte mitunter eher nebenbei mitläuft.
Der uneingeschränkte Fokus der Serie liegt auf Darby Hart, dieser eigenwilligen Gen-Z-Antwort auf Miss Marple. Das gesamte Ensemble ist ungemein sehenswert, wobei nicht zuletzt das Wiedersehen mit Twin Peaks-Star Joan Chen sowie ein starker Auftritt der deutschen Schauspielerin Pegah Ferydoni besonders viel Freude machen. Aber Emma Corrin ist in der Hauptrolle tatsächlich eine Klasse für sich, tough und doch feinsinnig, im Spiel der Emotionen enorm vielschichtig und mit funkelndem Intellekt im Blick. Wer nach »The Crown« oder »Lady Chatterley's Lover« noch Zweifel hatte, wird hier versichert: Emma Corrin gehört zu den spannendsten neuen Stars unserer Zeit.
OV-Trailer
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