Disney+: »Fleishman Is in Trouble«

»Fleishman Is in Trouble« (Miniserie, 2022). © Disney+

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Die Perspektive der anderen

Gut situierte, weiße Großstädter*innen in der Midlifekrise sieht man in Filmen und Serien wirklich aller Tage. Es ist also kein Wunder, dass sich bei »Fleishman Is in Trouble«, der achtteiligen Adaption des gleichnamigen Romans von Taffy Brodesser-Akner, anfangs hin und wieder das Gefühl eines Déjà-vus einstellt und man schon geneigt ist, die Serie achselzuckend abzutun als bloß eine weitere von vielen Geschichten aus der oberen Mittelschicht von New York City.

Tatsächlich ist das Szenario, wie es die Erzählerin Libby (Lizzy Caplan) hier aus dem Off entwirft, erst einmal kein außergewöhnliches. Toby Fleishman (Jesse Eisenberg), ein Mann in seinen Vierzigern und ein auf Lebererkrankungen spezialisierter Gastroenterologe in einem Krankenhaus in Manhattan, ist frisch geschieden und genießt – zur eigenen Überraschung – die ungeahnten sexuellen Möglichkeiten, die sich einem Mann wie ihm in Zeiten von Dating-Apps bieten.

Doch jenseits zwanglos-amouröser Abenteuer bringt das Dasein als Single und Teilzeitpapa zweier Kinder auch die eine oder andere Schwierigkeit mit sich, seien es Momente der Einsamkeit oder auch schon die Tatsache, dass Ex-Frau Rachel (Claire Danes) eines Nachts unangekündigt die 11-jährige Hanna und ihren zwei Jahre jüngeren Bruder bei ihm abliefert und in ein Yoga-Wochenende verschwindet. Zumal Rachel, die stets viel Zeit in ihren Job in der selbst gegründeten Künstler*innen-Agentur gesteckt hat, dann im Sommer 2016 einfach nicht mehr wiederkommt und auf keine Nachricht reagiert.

Selbst wenn »Fleishman Is in Trouble« bloß von einem leidlich sympathischen, wenn auch etwas zu sehr um sich selbst kreisenden Mann erzählen würde, der reichlich Mühe hat, zur Halbzeit sein Leben noch einmal ganz neu zu sortieren, wäre das Ganze erstaunlich sehenswert. Die Dialoge sind messerscharf und smart, die Figuren nuanciert, das Ensemble erwartbar überzeugend. Doch die Serie, die von den etablierten Indie-Regisseur*innen Valerie Faris & Jonathan Dayton, Alice Wu und Shari Springer Berman & Robert Pulcini inszeniert wurde, ist – wie sich nach und nach zeigt – noch viel mehr als das.

Schon die Tatsache, dass seine alte College-Freundin Lizzy Tobys Geschichte erzählt, lässt frühzeitig ahnen, dass hier nicht einfach ein sich aufopfernder Papa gefeiert wird, der froh sein sollte, seine karrieristische Ex los zu sein. Zusehends bekommen auch Lizzy und der gemeinsame Studienkumpel Seth (Adam Brody) mit ihren ganz anders gelagerten Sorgen und Nöten rund um die Themenkomplexe Partnerschaft, Selbstverwirklichung und Älterwerden Raum in »Fleishman Is in Trouble«. Und als Brodesser-Akner, die die Verfilmung ihres Buches selbst als Drehbuchautorin verantwortet, schließlich auch Rachels Version des Geschehens in den Blick nimmt, zeigt sich, dass die titelgebenden Probleme des männlichen Protagonisten aus einer anderen Perspektive dann doch sehr viel weniger Selbstmitleid verdienen. Diese Wendung hat, auch dank einer erstklassigen Leistung von Danes, so viel emotionale Wucht, dass diese auch bis dahin schon starke Serie noch eine ganz neue, unerwartete Qualität gewinnt.

OV-Trailer

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