Disney+: »Deutsches Haus«
© Krzysztof Wiktor/Disney/Gaumont
Die stärkste Szene ist eine betont einfache Einstellung, in der einer der Staatsanwälte einfach nur minutenlang bemüht sachlich die Litanei der Taten verliest. Irgendwann ein Schnitt, der Ton läuft weiter, im Bild nimmt der Staatsanwalt einen Schluck Wasser. Man spürt, manche Worte lassen sich nur schwer runterspülen.
2015 kam »Der Staat gegen Fritz Bauer« in die Kinos. Von den ersten Prozessen, bei denen deutsche Täter nicht von alliierten, sondern von deutschen Anklägern zur Verantwortung gezogen wurden, handelt nun auch die fünfteilige Miniserie »Deutsches Haus«. Es ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Annette Hess, die schon in ihren Drehbüchern zu »Weissensee« und »Ku'damm 56/59/63« Figuren eingearbeitet hat, die mit dem Erbe des Dritten Reiches ringen. Damit ihr niemand reinreden konnte, bei der auch sehr persönlichen Verarbeitung dieses Geschichtsbrockens, schrieb sie erst mal einen Roman. Nun hat sie als Drehbuchautorin und Showrunnerin dafür gesorgt, dass die erstickend biedere Ordentlichkeit im Nachkriegsdeutschland authentisch eingefangen wird, der saubere Schein, unter dem die braune Vergangenheit bis heute nicht ruht.
Das »Deutsche Haus« ist eine heimelige deutsche Kneipe in Frankfurt, ein Familienunternehmen in den frühen Sechzigerjahren. Vater Ludwig brät Schnitzel und richtet Kartoffelsalat auf Tellern an, Mutter Edith (Anke Engelke) serviert wie am Fließband bestellte Gerichte und die jüngste Tochter Eva hilft in der Küche. Als im Radio von den Prozessen berichtet wird, kappt der Vater eilig den Ton. Im Wirtschaftswunder-Deutschland haben Täter und Mittäter die Kriegsverbrechen verdrängt; woran man sich nicht erinnert, das hat es nicht gegeben. Doch Eva, die jüngste Tochter der Familie, protestiert, ihre Neugier und ihr Entsetzen sind geweckt, seit sie an einem Sonntag kurz vor Weihnachten als Übersetzerin angefragt wurde, bei den Frankfurter Prozessen gegen SS-Offiziere. So tappt Eva ganz naiv mitten hinein in die Gräuel des Naziregimes, denn am Gericht soll sie Zeugenaussagen polnischer Holocaust-Überlebender übersetzen, Augenzeugenberichte, für die ihr erst mal der Wortschatz fehlt. In ihrer ersten großen Rolle bringt Katharina Stark dieses Schwanken zwischen Naivität, erwachendem Bewusstsein und wütender Anklage auch gegen die Eltern zum Schillern.
Unter der Regie von Randa Chahoud und Isa Prahl kommt ein illustres Schauspielerensemble zusammen, neben Anke Engelke, Uwe Preuss, Sabin Tambrea und Alice Dwyer ist auch Iris Berben dabei, in einer kleinen, intensiven Rolle als Holocaust-Überlebende: »Ich verstehe Sie nicht, wenn Sie sagen, Sie hätten nichts gewusst! Alle habt Ihr nichts gewusst, nein?« Mit den Angeklagten schaut sie auch den Zuschauern direkt in die Augen. Es ist natürlich eine Gratwanderung, eine Unterhaltungsserie über die Spuren, die Nationalsozialismus und Antisemitismus bis heute in Deutschland hinterlassen, zu machen. Dabei war es eine kluge Entscheidung, auf Rückblenden zu verzichten: Das Grauen entsteht im Kopf, allein durch die gesprochenen Worte.
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