Buch-Tipp: Regina Jankowitsch, Annie Rüdegger-Rosar – Die Schauspielerin Annie Rosar

Rundum gut

Dreihundertachtundzwanzig (in Ziffern: 328) Seiten über Annie Rosar? Potztausend! Zur Erklärung für Menschen unter fünfzig Jahren: Annie Rosar, 1888 – 1963, war eine öster­reichische Volks-schauspielerin, älteren Filmfreunden zumindest noch bekannt als Sidekick von Hans Moser und durch zahllose Wiederholungen österreichischer Komödien und Heimatschmonzetten im Fernsehen. Geschrieben wurde die Biografie von der Historikerin Regina Jankowitsch und der Urenkelin der Komödiantin, Annie Rüdegger-Rosar. Wer sich aufgrund dessen allerdings eine haltlose Hagiographie erwartet – immerhin war Papst Pius XII. mit einer seiner letzten Audienzen in der Werfel-Verfilmung »Der veruntreute Himmel« mit Annie Rosar in der Hauptrolle zu sehen – sieht sich bitter getäuscht! Womit der Leser stattdessen überrascht wird , das ist ein breit angelegtes Lebenspanorama. 

Begonnen hat Annie Rosar, kaum zu glauben, als Tragödin am Burgtheater. Das Spektrum ihrer Freunde reichte immerhin von Roda Roda bis Erich Mühsam, die Phalanx ihrer Rivalinnen ist ebenso beeindruckend, Hedwig Bleibtreu (mit der zusammen sie in »Der Dritte Mann« zu sehen ist) war eine davon. Rosars Sohn, dessen Herkunft väterlicherseits bis heute ungeklärt zu sein scheint und der ein strammer Nationalsozialist war, fiel in jungen Jahren an der Front. Durch die Zeit des Nationalsozialismus hat sie sich wie so viele andere Künstler irgendwie hindurchgewurschtelt ohne in die eine oder andere Richtung besonders auffällig geworden zu sein. Die Autorinnen führen Leben und Zeitgeschichte parallel: Habsburgermonarchie, zwei Republiken, eine faschistische Diktatur und zwei Weltkriege. Dabei ist, um es kurz zu machen, ein spannendes und aufschlussreiches historisches und kulturgeschichtliches Buch herausgekommen. 

Schmerzlich vermissen wird der Leser ein Rollenverzeichnis und eine Filmografie der in jungen und mittleren Jahren recht korpulenten Dame, aber er wird dafür mit der einen oder anderen Blüte austriakischen Humors (fließende Grenzen zu Stilblüten inkludiert) vollauf entschädigt: »Annie läuft angesichts der privaten Belastungen in diesen Jahren sehr unrund.« Ein Satz wie vom seligen Helmut Qualtinger, der die Volksschauspielerin famos parodieren konnte. Im Gegensatz zum manchmal etwas »unrund«‟ verlaufenen Leben ist die Biografie der Rosar rundum gelungen, Chapeau!



Regina Jankowitsch, Annie Rüdegger-Rosar: Annie Rosar (1888–1963). Geschichte einer Überlebenskünstlerin. Böhlau Verlag, Wien; Köln 2022. 328 S., 35 €.

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