Film des Monats Oktober: »Nachbarn«
Soldaten ärgern ist ein Spiel, das Sero mit seinem Onkel besonders gern spielt. Sie lassen drei Luftballone in Grün, Gelb und Rot in die Höhe steigen. Umgehend wird das Feuer durch die türkischen Grenzsoldaten auf die Ballone eröffnet. Sero, der sechsjährige Junge, ist Kurde und lebt mit seiner Familie in einem winzigen Dorf in Syrien. An Sabbat zündet er die Kerzen bei der Nachbarsfamilie an. Es gibt keinen Strom und damit auch kein von Sero so ersehntes Fernsehen. Ein neuer Dorflehrer soll den Fortschritt bringen, die Kinder müssen Arabisch lernen und dass Israel der Todfeind ist. Eine Palme als Symbol des arabischen Sozialismus wird gepflanzt. Sie übersteht den Winter ebenso wenig wie der Lehrer.
Die Vielfalt der kleinen Gemeinschaft wird durch die gnadenlose Politik der Türkei und des autoritären Assad-Regimes in die Zange genommen und zerstört. Schließlich gibt es doch Strom, Seros Familie bekommt einen Fernseher, aber zu sehen sind nicht die ersehnten Cartoons, sondern Militärparaden und Bombenexplosionen.
»Nachbarn« von Mano Khalil erzählt ruhig und fast klassisch eine Kindheit. Meist nehmen wir dabei die Perspektive des kleinen Sero ein, fantastisch gespielt von Serhed Khalil. Mit seinen Augen verlieren wir gleichsam den unschuldigen und neugierigen Blick auf seine Umgebung und verstehen – ohne das Dörfchen verlassen zu müssen –, wie verfahren die Situation in diesem weltpolitischen Krisenherd ist. Der kindliche Blick entlarvt zugleich die hohlen Gesten der Herrschaft und bringt durchaus satirische Momente in die Erzählung. Als zentrales dramaturgisches Element nutzt Khalil die Sprache. Türkisch, Hebräisch, Kurdisch und Arabisch stehen sich so feindlich gegenüber wie Grenzsoldaten. Was als Gemeinschaft gelingen kann und eine Bereicherung des Lebens ist, zeigt insbesondere das Verhältnis zwischen Seros Familie und deren jüdischen Nachbarn. Der staatlich verordnete Antisemitismus in Syrien zerstört aber auch diese Vielfalt.
Erzählt werden diese Kindheitserinnerungen vom erwachsenen Sero, der vierzig Jahre später in einem Flüchtlingslager einer ungewissen Zukunft entgegenblickt. Für ihn bringt die Gegenwart ein überraschendes und bewegendes Wiedersehen. Für die meisten Menschen in Syrien bleibt die Situation im Spiel der autoritären Kräfte jedoch nahezu hoffnungslos. Ein eindrücklicher Film, der im Mikrokosmos eines Dorfes die Dramatik eines fast schon ewigen Krisenherdes sichtbar macht.
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