Kritik zu Nachbarn
Mit seinem betörend schönen und bedrückend grausamen Film schafft der kurdische Regisseur Mano Khalil ein Plädoyer für die Menschlichkeit in einem bis heute andauernden Konflikt
Symbolhaft steht sie da, die Palme, vor dem Schulgebäude in dem kargen Landstrich Syriens an der Grenze zur Türkei. Gepflanzt hat sie der neue Dorflehrer (Jalal Altawil). »Auf kurdischem Boden wachsen keine Palmen«, prognostiziert ihm ein Einheimischer und meint damit nicht nur die klimatischen Bedingungen. Er wird recht behalten. Denn ebenso wie der Lehrer das Symbol der arabischen Welt in die Gemeinschaft tragen will, versucht er, nationalistisches Gedankengut und Judenhass in die Kinder einzupflanzen. Und ebenso wie die Palme zunächst gedeiht, gelingt es ihm auch, Misstrauen zu schüren – selbst bei dem sechsjährigen Sero (Serhed Kahlil), der mit seiner Familie schon sein ganzes Leben, freundschaftlich mit den jüdischen Nachbarn verbunden ist. Am Sabbat zündet er ihnen seit jeher die Kerzen an. Seinen von ihm verehrten Onkel Aram (Ismail Zagros) verbindet eine zarte Liebe mit Hannah (Derya Uygurlar), der Tochter der jüdischen Nachbarn. Doch mehr und mehr werden die Menschen in dem kleinen Dorf von der nationalistischen Willkür und Gewalt erdrückt.
In Anlehnung an die eigenen Kindheitserinnerungen erzählt der 1964 in Kurdistan geborene und seit vielen Jahren in der Schweiz lebende Filmemacher Mano Khalil die Geschichte des kleinen Sero. Liebevoll umsorgt von Eltern und Großeltern, wächst er unweit der streng bewachten Grenze auf. Sein einziger Wunsch ist ein Fernseher, um endlich Cartoons schauen zu können, wie die Stadtkinder. Doch Anfang der 80er Jahre gibt es in dem Dorf keinen Strom. Außerdem, so sagt ihm seine Mutter, solle er erst mal Arabisch lernen, bei jenem neuen Lehrer, der Sero nicht nur wegen der fremden Sprache ein Mysterium bleibt. Dessen Geschichten sind schaurig, seine Methoden brutal.
Khalil findet für seine Geschichte ebenso eindringliche wie poetische Bilder, die sein feines Gespür für skurrile Momente offenbaren, ohne jemals die Tragik zu verleugnen. Mit seinem Onkel lässt Sero gelbe, rote und grüne Ballons in die Luft steigen, die Farben der Kurden, »um die Grenzsoldaten zu ärgern«, wie Aram ihm sagt. Mit Langmut und Gelassenheit beobachten alte Männer Sonnenblumenkerne knabbernd, rauchend und Gebetsketten massierend das Treiben des Dorflehrers, der sich mit seinem Fanatismus in dem abgelegenen Dorf der Lächerlichkeit preisgibt und zugleich mit seiner Macht die Dorfgemeinschaft bedroht.
Khalil gelingt die Balance zwischen erlösender Heiterkeit und bedrückendem Grauen. Auch Sero bekommt die Willkür der Mächtigen nicht nur in Form von Stockschlägen des Lehrers zu spüren. Der Regisseur blickt mit Versöhnlichkeit auf seine Figuren und lässt eine vage Hoffnung mitschwingen in einem Konflikt, der bis heute andauert. »Nachbarn« ist ein berührendes Plädoyer für die Menschlichkeit, das lange nachhallt. Das liegt auch an dem beeindruckenden Spiel von Serhed Kahlil, der in seinem kindlichen Gesicht alle Gefühlslagen, seien sie rein kindlicher Natur oder politischen Repressionen geschuldet, so herzzerreißend wie herzerfrischend darstellt.
Kommentare
Zum Film Nachbarn von Mano Khalil
Ein schöner Film.. einfach und tieftraurig. Sehr gute Schauspieler.
film Nachbarn von Mano Khalil
wunderbarer Film, wunderbar gespielt.
Ich hoffe dass die Türkeiwahl den Kurden endlich ihre Würde zurückgibt.
Es tut mir leid, soviel unnütze Gewalt und das Kind hat seine Kindheit behütet erlebt trotz all der Konflikte und mit diesem berührenden Film große Menschlichkeit gezeigt.
"Nachbarn" von Mano Khalil
Nur selten hat mich ein Film so tief berührt wie "Nachbarn" von Mano Khalil, in dem er die Grausamkeit, geistige Leere und Sinnlosigkeit der Diktaturen zeigt, sowie Menschlichkeit und feinen Humor, die selbst unter den schwersten Bedingungen nicht aussterben.
Ein Meisterwerk.
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