Bücher-Tipp: Wiener Kinos

Kolossale Kulturgeschichte

Im Interview mit der »Süddeutschen« sagte der »schwäbische Spielberg« Roland Emmerich vor kurzem: »Ich glaube, es wird das Kino bald nicht mehr geben. Vielleicht noch zwanzig oder dreißig Jahre – aber dann war's das.«

Das ist eine düstere Prognose, die sich schon jetzt anhand einer Veröffentlichung über »Wiener Kinos« zu bewahrheiten scheint. Dabei handelt es sich um die stark erweiterte Neuausgabe eines Bandes mit fotografischen »Erinnerungen an Programm-, Grätzel- oder ›Art-House‹-Kinos der Stadt Wien, die 2010 erschien. Zum Vergleich: 1979 gab es in Wien 65 Kinos, 2010 waren es noch 21. Die Befunde für deutsche Großstädte einschließlich des Verschwindens der sogenannten Stadtkinos, des Erstarkens der Multiplexe an den Stadträndern dürften ähnlich ausfallen. Mit Wehmut betrachtet der Leser die stimmungsvollen Fotografien, die mit kurzen Texten über das jeweilige Kino versehen sind. Wehmütig nicht zuletzt deshalb, weil seit Erscheinen der Erstauflage weitere fünf Kinos in Wien ihre Pforten geschlossen haben.

Das »Metro«-Kino in der Johannesgasse in Wien wurde vom Filmarchiv Austria übernommen, und eine Schließung ist aufgrund der kommunalen Förderung hoffentlich nicht zu befürchten. Im zum Filmarchiv gehörenden Verlag ist eine großformatige, gewohnt opulente Veröffentlichung über die Geschichte dieses »Wiener Vergnügungsorts« erschienen, mit beschlagenen Beiträgen und fantastischen Fotografien. Die Räumlichkeiten des einstigen Klosters St. Anna beherbergten von der Biedermeierzeit bis heute zahlreiche Etablissements und Theater, seit 1951 ein Kino – eine kolossale Kulturgeschichte durch die Zeiten.

Es gibt also entgegen Emmerichs Aussage noch Hoffnung und gerade wurde der Furie des Verschwindens ein Schnäppchen geschlagen. Das 2019 – nach 107 Jahren des Bestehens – geschlossene »Bellaria«-Kino konnte gerettet werden und wird in absehbarer Zeit als Eventlocation und Kino wiedereröffnet. Der abscheuliche Anglizismus Eventlocation lässt Schlimmes befürchten – welch ein Glück, dass sowohl die Fassade als auch der Innenraum des »Bellaria« unter Denkmalschutz stehen! 


Juliane Batthyány: Wiener Kinos. Phoibos-Verlag, Wien 2021. 231 S., 29 €.

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Martina Zerovnik (Hg.): Das Metro – Kulturgeschichte eines Wiener Vergnügungsorts. Filmarchiv Austria, Wien 2021. 216 S., 29,90 €.

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