Buch-Tipp: Paris als Filmstadt

Wo geht's zum Haus von Amélie?

Kurt Tucholsky warf metaphorisch sein Herz in den Fluss, tauchte in die Stadt Paris ein und schrieb »Ich liebe dich!«, Ernest Hemingway feierte in der Stadt ein »Fest fürs Leben« und Honoré de Balzac war der Meinung, man könne in Paris geboren werden, leben und sterben, ohne dass sich jemand auch nur im Mindesten darum kümmert. Jeder nach seiner Fasson! Ganz en passant gibt die Stadt eine faszinierende Filmkulisse ab.

Zudem ist Paris, schenkt man der Autorin Christine Siebert Glauben, immer noch eine Stadt mit unglaublich vielen Kinos. Die Folgen der Corona-Pandemie werden in Sieberts Veröffentlichung allerdings noch nicht thematisiert und es bleibt abzuwarten, ob die Pariser Kinolandschaft die Pandemie ohne Blessuren überstehen wird. Sieberts Veröffentlichung »Paris und das Kino« ist ein Reiseführer, aufgeteilt in 21 »cineastische Spaziergänge«. Die Autorin nimmt den Leser an die Hand und führt ihn durch die Film-Metropole. Das tut auch Sabine Wenkums mit »Bonjour, Paris!«, wobei sie nur auf den Spuren von Audrey Hepburn wandelt.

Beide Bücher (mit Stadt- und/oder Metroplänen) sind auf ihre Weise hors concours. Die Herangehensweise ist unterschiedlich. Wenkums konzentriert sich auf fünf in Paris spielende Filme Audrey Hepburns und lässt lediglich »Blutspur« (1979) und »Zusammen in Paris« (1964) aus, letzteren hält sie für »nicht sehr geglückt«. Der Reiz des Buches ergibt sich aus den präzisen Angaben und aus der Bebilderung. Besonders geglückt sind die Gegenüberstellungen von Filmstills und den jeweiligen »Kulissen« im heutigen Zustand. Jedem Kapitel angeschlossen ist eine Handreichung für den Leser unter dem Titel »Und wenn Sie schon in der Gegend sind...«. Darin versteckt sich viel Interessantes. Beispiel gefällig? Auf dem Cimetière de Passy finden sich sowohl das Grab von Hepburns Couturier Hubert de Givenchy als auch das Grab des Dramatikers Jean Giraudoux, in dessen Theaterstück »Ondine« Hepburn 1954 zusammen mit ihrem ersten Mann Mel Ferrer am Broadway auftrat.

Sieberts Reiseführer ist umfangreicher, die Bebilderung sparsamer und schwarzweiß. Sie kennt viele Kinogeschichten und vor allem viele Kinos, so dass der Leser auch von dieser Autorin gern an die Hand genommen wird. Mit Zusatzinformationen ist Siebert jedoch ungleich sparsamer. Zwar erwähnt sie das (immer noch geschlossene) Kino Étoile Pagode, aber nicht, dass in dem berühmten »Japanischen Saal« des einem Tempel nachempfundenen Baus Jean Cocteaus »Das Testament des Orpheus« (1960) uraufgeführt wurde. »Charade« (1963) von Stanley Donen, »Die fabelhafte Welt der Amélie« (2001) von Jean-Pierre Jeunet und »Midnight in Paris« (2011) von Woody Allen scheint sie besonders zu mögen; die Orte, an denen diese Filme spielen, werden immer wieder angeführt. Allerdings bleibt es erstaunlich und bedauerlich zugleich, was die Autorin ausblendet, im Kapitel »Im Pariser Untergrund« über die Metro-Linien beispielsweise Truffauts »Die letzte Métro« (1980). Danielle Darrieux findet überhaupt keine Erwähnung, nicht einmal mit Max Ophüls' Meisterwerk »Madame de...« (1953), ebenso wenig Lino Ventura mit einer doch stattlichen Anzahl in Paris spielender Gangsterfilme. Interessant zu erfahren gewesen wäre auch, ob das Fantasie-Paris in Marcel Carnés »Kinder des Olymp« (1945) an irgendeiner Stelle der Stadt manifest ist.

Aber wahrscheinlich wird sich jeder Leser und jeder Liebhaber der Stadt ohnehin seine eigene Tour zusammenstellen und sich auf die Suche nach den Artefakten und Überbleibseln seines Lieblingsfilms machen, z. B. Helmut Käutners trauriger Liebeserklärung an Paris, »Monpti« (1957). Der Schriftsteller Eugène Ionesco, der sein Exil in Paris verbrachte, schrieb, das Flüchtige der Metropole in Worte fassend: »Aber diese Stadt gab es doch. Es war die Stadt der Lichter, weil sie erloschen ist, erloschen seit vierhunderttausend Jahren. Es gibt nichts von ihr als ein Lied. Ein Wiegenlied, ein Gleichnis: Paris bleibt immer Paris.« Schöner kann die Faszination der Stadt an der Seine nicht beschrieben werden und schöner kann ein Spaziergang mit einem oder beiden der Bücher durch Paris fast nicht sein. Dank der Begeisterung und Sachkenntnis der Autorinnen kann man sich zwar in der Stadt verlieren – verloren geht man definitiv nicht! 

 


Christine Siebert: Paris und das Kino. Die Seele einer Stadt in cineastischen Spaziergängen. Henschel Verlag, Leipzig 2022. 223 S., 22 €.

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Sabine Wenkums: Bonjour, Paris! Mit Audrey Hepburn in Paris. Vergangenheitsverlag, Berlin 2021. 128 S., 20 €.

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