Mubi: »Munyurangabo«
»Munyurangabo« (2007). © Verleih
Ganze 14 Jahre bevor er mit dem halbautobiografischen »Minari« seine Kindheit als Sohn koreanischer Eltern im ländlichen Arkansas der 1980er Jahre verarbeitete und damit mehrfach für den Oscar nominiert wurde (Kinostart: 15.7.), drehte Lee Isaac Chung sein Regiedebüt auf einem anderen Kontinent, im ostafrikanischen Ruanda. Aus jugendlicher Perspektive erzählt, handelt auch »Munyurangabo« von Herkunft und Migration, wenn auch hier deutlich traumatischer, angesiedelt nach dem Völkermord der Hutu-Milizen an der Tutsi-Minderheit.
Ngabo und Sangwa sind beste Freunde, die sich gemeinsam, aber aus unterschiedlichen Motiven auf die Reise machen. Der Tutsi Ngabo (Jeff Rutagengwa) hat auf dem Markt von Kigali eine Machete gestohlen, mit der er den Tod seiner Eltern rächen will, die im Bürgerkrieg ermordet wurden. Sangwa (Eric Ndorunkundiye), aus einer Hutu-Familie, begleitet ihn aus Solidarität, auf dem Weg wollen sie haltmachen bei Sangwas Eltern, die er vor drei Jahren verlassen hat. Die Mutter freut sich, der Vater lässt ihn den Groll spüren, sie im Stich gelassen zu haben. Schon bald brechen Konflikte auf, innerhalb der Familie, aber auch zwischen den Freunden, deren unterschiedliche Abstammung zunehmend zum Problem wird.
Die Verheerungen des Völkermords sind in »Munyurangabo«, entstanden rund zwölf Jahre nach den Massakern, als Echo zu spüren. Chungs Regiedebüt, eine Coming-of-Age Geschichte über eine Jugend im Nachkriegsgebiet, ist mehrfach bemerkenswert. Im Rahmen eines Projekts mit Flüchtlingskindern und Kriegswaisen wurden auf Basis eines kurzen Treatments Szenen mit Laiendarstellern improvisiert. Dieser Ansatz erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, sorgt aber auch für eine Unmittelbarkeit, die in jedem Moment spürbar ist. Bereits in diesem neorealistischen Frühwerk, zugleich dem ersten Spielfilm, der in Kinyarwanda, der offiziellen Sprache Ruandas, gedreht wurde, zeigt sich Chungs Kunst, unverstellt und ohne Sentimentalität eine scheinbar simple Geschichte zu erzählen, die gerade deshalb tief bewegt. Der Film ist nun, im zweifachen Rückblick, auch Zeitdokument. Die Wunden von damals sind nicht geheilt, wirken in den jüngeren Generationen nach. Hat eine Freundschaft wie die zwischen Ngabo und Sangwa eine Chance? Haben die beiden eine Chance? Der Film endet mit einem Gedicht über die Befreiung, die ein fortwährender Prozess ist. Ein minutenlanger Brandmonolog für den Frieden, der lange nachhallt.
Chungs Film kam nie regulär in die deutschen Kinos. Dass die Lücke nun geschlossen wird, ist dem Interesse an »Minari« zu verdanken – und den Kuratoren bei Mubi. Der Arthouse-Streamer wiederholt damit eine Strategie, die ähnlich bereits im April aufging, als Chloé Zhao mit »Nomadland« die große Oscarfavoritin war und Mubi vorab ihr kaum bekanntes Debüt »Songs My Brothers Taught Me« verfügbar machte.
OmeU-Trailer
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