Mediathek: »Schlafschafe«
»Schlafschafe« (Miniserie, 2021). © ZDF / Raymond Roemke
Manchmal geht es dann doch. Da wundert man sich monatelang, wo eigentlich nach einem Jahr Pandemie in all den deutschen Serien und Fernsehfilmen mal Corona thematisiert wird. Kein Familienvater im Homeoffice-Koller, keine Arztserie mit überfüllter Intensivstation, kein Supermarktstreit über einen »verrutschten« Mundnasenschutz in der Daily Soap. Abseits der Nachrichtensendungen und Talkshows ist das televisionäre Paralleluniversum heile Welt. Begründet wird das entweder mit dem langen Planungsvorlauf fiktionaler Stoffe, so schnell ließe sich da gar nicht reagieren, oder gleich mit »dem Publikum«, das angeblich in Erzählformaten nicht auch noch mit der Realität behelligt werden möchte. Amerikanische Sitcoms wie »The Conners« oder »Superstore« haben längst die Auseinandersetzung mit der Pandemie auf die alltäglichen Sorgen und Nöte ihrer Charaktere übersetzt und damit gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, aktuelle Lebensrealitäten widerzuspiegeln. Im deutschen Fernsehen reagierte einzig der Jugendkanal ZDFneo mit schnell gedrehten »Instant-Serien« auf Corona. Gleich im April vergangenen Jahres reagierte die Comedy »Drinnen – Im Internet sind alle gleich« mit Lavinia Wilson als Mutter im Homeoffice auf den ersten Lockdown, in den Monaten folgten Serien wie »Liebe. Jetzt!« und »Lehrerin auf Entzug«, alle mehr oder weniger komisch und wohlwollend.
Nun wagt ZDFneo mit »Schlafschafe« die erste Dramaserie zum Thema (sechs Teile, 12. Mai) und versetzt die Grabenkämpfe mit Verschwörungstheoretikern und »Querdenkern« dahin, wo es wehtut: in die eigene Familie. Melanie (Lisa Bitter) hält plötzlich die Rauchmelder im Haus für heimliche Datenübermittler an ominöse Machthaber, ihren kleinen Sohn Janosch (Emil Brosch) will sie nicht mehr in die Schule schicken, weil die Atemmasken angeblich krank machen. Weil Ehemann Lars (Daniel Donskoy) von ihrem Realitätsverlust und ihren Agitationen zunehmend entsetzt ist, erklärt sie ihn zum unwissenden »Schlafschaf«, Ende der Diskussion.
Als sie auch noch auf einer Demo von Coronaleugnern eine Rede halten will, versucht Lars den Verschwörungstheoretiker ausfindig zu machen, dessen krude Videos offenbar Lisa stark in ihrem Irrglauben beeinflussen. In sechs kurzweilig inszenierten Folgen werden etliche Streitpunkte und Situationen durchgespielt, die einem so oder ähnlich auch vor dem Bildschirm bekannt vorkommen, die Impfdebatte etwa, die skrupellose Pharmaindustrie und ihre manipulierten Studien oder geheime Eliten, die sich den Planeten unter den Nagel reißen wollen, wenn man sich nicht wehrt. Melanie ist keine Karikatur, man ertappt sich selbst dabei, die richtigen Argumente gegen ihr »aufgewachtes« Aluhut-Geschwurbel zu finden. Die Internet-Videos erweisen sich schließlich als Kunstprojekt, das die Verführbarkeit der User zeigen sollte. Aber das, so die bittere Pointe am Ende, will kaum jemand wahrhaben.
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