Buch-Tipp: Victor Klemperer – Licht und Schatten

© Aufbau Verlag

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Das Fließende des Lebens

Der aus einer jüdischen Familie stammende Romanist Victor Klemperer (1881 bis 1960) ist vor allem bekannt durch seine Untersuchung »LTI« (1947) über die Sprache der Nazis. Er hat auch Tagebücher geschrieben, die in den 90ern erschienen. Nicht zuletzt war er ein begeisterter Kinobesucher. Unter dem Titel »Licht und Schatten. Kinotagebuch 1929 – 1945« hat der Aufbau Verlag vor allem Texte Klemperers aus dem »Dritten Reich« veröffentlicht. Seine Kinonotizen setzen aber schon früher ein, beim Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm.

Es dauerte, bis Klemperer sich mit dem Tonfilm anfreunden konnte. »Stummer Film ist Kunst für sich, Tonfilm ist schlechter Ersatz des Theaters«, schrieb er am 5. April 1932. Trotzdem hat er Filme wie »Der blaue Engel« gelobt. Er sei zwar melodramatischer Kitsch, »aber die Schauspielerei ist große Kunst«. Klemperers Interesse am Kino begann aber noch viel früher. 1912 schrieb er den Aufsatz »Das Lichtspiel«. Der Kinematograf ist zum Konkurrenten des Theaters geworden, es gibt in Berlin weit mehr Kinematografen als Theater. Klemperer sieht im Lichtspiel »das Fließende des Lebens schlechthin«. Und die Aufführungen im Lichtspiel werden von einem Klavier, einem Harmonium oder gar einem Orchester begleitet. Der Text ist ein Glanzstück des Buchs.

Klemperer war zu Beginn des »Dritten Reichs« 52. Die Filmproduktion der dreißiger Jahre kann ihn kaum faszinieren, doch es gibt Ausnahmen, wenige. Zarah Leander in »La Habanera«: »Eine großartige Mischung aus Tragik und Humor ohne eigentliche Sentimentalität«. Das Alltagsleben wird für Juden immer schwieriger. Geldnot und Albträume in der Nacht. Luftschutzübungen. »Wie es auch politisch kommen mag«, schreibt er 1938: »Mein Deutschtum wird mir niemand nehmen, aber mein Nationalismus und Patriotismus ist hin für immer. Jede nationale Umgrenzung erscheint mir als Barbarei«. Überraschung: Der Film »Der ewige Jude«, »mit größtem Tamtam aufgezogen ist nach knapp eíner Woche wieder verschwunden. Weshalb? Müdigkeit und Ekel des Publikums?« Es kommt Schlag auf Schlag: Entziehung der Autofahrerlaubnis für Juden. Bibliotheksverbot. Aus der Wohnung in ein Judenhaus verlegt. Acht Tage Haft wegen Nichtverdunklung eines Fensters. Aber dann: 1945 Flucht aus dem brennenden Judenhaus. Im Juni zum ersten Mal wieder im eigenen Haus. Klemperer ist »übervoll von Plänen und Arbeitslust. (…) Kein 20-Jähriger kann halb so lebenshungrig sein.«

Ein spannendes, aufregendes Buch über das Leben eines jüdischen Intellektuellen und Kino-Fans in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von den Herausgebern Nele Holdack und Christian Löser mit 40 Seiten Anmerkungen erläutert.

 

 

Victor Klemperer: Licht und Schatten. Kinotagebuch 1929 – 1945. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 364 S., 24 €.

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