Buch-Tipp: Alice Brauner – Also dann in Berlin
Als Artur Brauner 2019 im Alter von knapp 101 Jahren verstarb, konnte tatsächlich einmal von einem Jahrhundertleben gesprochen werden. Seine Tochter Alice, ebenfalls Filmproduzentin, hat sich darangemacht, die Lebensgeschichte ihrer Eltern aufzuschreiben. Die ist in jeder Beziehung atemberaubend. Brauner, in Lodz geboren, floh mit seiner Familie vor Krieg, Verfolgung und Antisemitismus, lernte in Stettin Maria, die Liebe seines Lebens, kennen; beide heirateten in einem Lager für displaced persons in Heidenheim. Kurz danach begann der Aufstieg Brauners zu einem der führenden Filmproduzenten der Bundesrepublik. Seine jüdischen Wurzeln und die Geschichte seiner Familie hat Brauner nie vergessen; er hat immer wieder Geschichten über Flucht, Vertreibung und Ermordung seines Volkes auf die Leinwand gebracht. Erfolge beim Publikum waren Filme wie »Zeugin aus der Hölle« mit Irene Papas nicht; Brauner finanzierte seine Herzensprojekte mit allem was die Zuschauer damals gern sehen wollten: »Liebe, Tanz und 1000 Schlager.« Den Niedergang von Opas Kino überlebte Brauner als Produzent, wenn auch mit Blessuren, und blieb bis ans Ende seines Lebens aktiv. Dass er mit »Hitlerjunge Salomon« nicht ins Rennen für den Auslandsoscar geschickt wurde, bleibt ein Schandfleck in der Filmgeschichte der Bundesrepublik.
Alice Brauner schreibt mit Schwung und, wie man neudeutsch sagt, »informiert«; besonders die Kapitel über Flucht und Entbehrungen der Eltern in den 1930er und 1940er Jahren sind ihr eindrücklich gelungen. Ihre Einschätzung der filmischen Hinterlassenschaft ihres Vaters bleibt hingegen merkwürdig indifferent (gerade eingedenk der Tatsache, dass sie vom Fach ist) und kommt oft über das Anekdotische nicht hinaus. Das ist schade, weil Brauner mit Filmen wie »Die Ratten« Filmgeschichte schrieb, Emigranten wie Robert Siodmak nach Deutschland zurückholte und mit dem Remake der Nibelungen-Saga sogar ein Pop-Art-Spektakel avant la lettre produzierte. Dem Lesevergnügen tut das keinen Abbruch – eine filmhistorische Auseinandersetzung mit Artur Brauner und seiner CCC-Filmkunst steht jedoch weiterhin aus.
Alice Brauner: »Also dann in Berlin...«. Artur und Maria Brauner, eine Geschichte vom Überleben, von großem Kino und der Macht der Liebe. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 319 S. 22 €.
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