Amazon: »The Underground Railroad«
© Kyle Kaplan / Amazon Studios
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand Colson Whiteheads mit dem Pulitzer-Preis und dem National Book Award ausgezeichneten Roman »Underground Railroad« für eine Verfilmung vornehmen würde. Die schnörkellose Prosa des Schriftstellers, seine wuchtigen Bilder, in denen historische Ereignisse und magischer Realismus zu einem spannungsgeladenen, grausamen Stationendrama verschmelzen: Whiteheads kompromisslose Abrechnung mit der US-amerikanischen Sklavengeschichte ist ein Stoff wie gemacht fürs Kino.
Auf der großen Leinwand wird der gleichnamige Zehnteiler, den Regisseur Barry Jenkins für Amazon realisiert hat, nicht zu sehen sein. Leider, muss man ergänzen, denn Jenkins' Miniserie ist Kino pur: formal eigensinnig, opulent und sich von gängigen Serienkonventionen emanzipierend. Mit an Bord waren Kameramann James Laxton und Komponist Nicholas Britell, mit denen Jenkins schon bei seinen gefeierten Filmen »Moonlight« und »If Beale Street Could Talk« zusammengearbeitet hat. Es ist eine fruchtbare Entwicklung, dass Regisseure, wie erst kürzlich etwa auch Luca Guadagnino (»We Are Who We Are«) und Steve McQueen (»Small Axe«), ihre Kinoexzentriken ins Serienformat tragen.
Was also macht Jenkins aus Whiteheads Vorlage? Eine Serie, die in der Tradition einer kinematografischen Konfrontationstherapie steht, wie sie vor Jahren durch McQueens »12 Years A Slave« losgetreten wurde. Jenkins eignet sich den Stoff filmisch an und übersetzt ihn in eine Serie, die in ihrer Heftigkeit teils schwer zu ertragen ist. Gleich in der ersten Folge müssen wir durch die Augen einer Gruppe von Sklaven auf der Farm in Georgia, in der die Handlung einsetzt, mitansehen, wie ein Mann zur Abschreckung an einem Galgen bei lebendigem Leib verbrannt wird.
Wie im Roman folgen wir Cora (Thuso Mbedu), die in die Gefangenschaft hineingeboren wurde, auf ihrer Flucht mit Neuankömmling Caesar (Aaron Pierre). Mit der Underground Railroad, einem unterirdischen Eisenbahnnetzwerk, mit dem Whitehead die gleichnamige abolitionistische Untergrundorganisation zum Leben erweckte, geht es von Georgia auf eine apokalyptische Odyssee. In South Carolina lauert die vermeintliche Freiheit, die sich als perverse Dystopie entpuppt: Schwarze Frauen werden zur Sterilisation gedrängt, Männer werden als Versuchspersonen vergiftet. In North Carolina hängen die Leichen an der »Straße der Freiheit« von den Bäumen, bevor Cora auf dem Dachboden eines Abolitionisten vor dem Mob versteckt wird. Tennessee ist bei Jenkins die filmgewordene Trostlosigkeit, eine buchstäbliche Hölle auf Erden. Und mit dem Sklavenjäger Ridgeway (Joel Edgerton) klebt der Teufel in persona an Coras Fersen.
In den Produktionsnotizen erklärt der Regisseur jenen Spagat, den es zu bewältigen galt: einerseits vom Leid seiner Vorfahren in ungeschönten Bildern zu erzählen und andererseits auch der Liebe und Menschlichkeit Rechnung zu tragen. So changiert »Underground Railroad« mit großer Geste zwischen Leben und Tod, zwischen Hoffnung und Abgrund. Umschlungen von Britells wuchtigem Score und einem Sounddesign, das den wechselnden Topografien mit den zirpenden Grillen und rauschenden Bäumen einen eigenen Resonanzraum gibt, fängt Laxtons Kamera das Treiben ein.
Verstärkt durch jene vielschichtige Farbdramaturgie, wie Jenkins sie schon in seinen Filmen einsetzte, stellt »The Underground Railroad« eine Sichtbarmachung dar: mal erschreckend konkret, mal in meditativer Ruhe bedrohliche Suggestivkraft entwickelnd. Der Regisseur will uns sagen, dass diese Geschichten erzählt werden müssen, so wie auch Cora immerzu dazu angehalten wird, schriftlich Zeugnis abzulegen von ihren Erlebnissen.
Einmal, nach der Rezitation aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, in der es um die Gleichheit aller Menschen geht, fragt Cora eine Wegbegleiterin, ob sie daran glaube: »Natürlich nicht, Cora, ich bin eine schwarze Frau, die in Amerika lebt.« Jenkins' Serie ist sehr aktuell. Leider.
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