Streaming-Tipp: »Snowpiercer«
»Snowpiercer« (Serie, 2020). © Netflix
Dass Kinoerfolge in Serie gehen, ist ein alter Hut; nicht immer macht es Sinn. »Snowpiercer«, Bong Joon-hos Leinwandadaption der französischen Graphic Novel »Le Transperceneige«, überzeugte durch eine Dramaturgie wie aus einem Guss. Nachdem die Welt untergegangen ist – und zwar nicht, wie erwartet, durch die globale Erwärmung, sondern durch einen drastischen Temperatursturz –, hat sich eine kleine Anzahl Überlebender auf eine rollende Arche Noah gerettet. Der Snowpiercer ist ein Eisenbahnzug, in dem mit der neuen Eiszeit auch die Klassenverhältnisse eingefroren sind.
Vorne leben Privilegierte in Saus und Braus. Angestellten aus dem Mittelteil verrichten Arbeit und Verwaltung. Am Ende des Zugs werden derweil die sozial Schwachen mit militärischer Gewalt unterdrückt. Während der Revolutionär Curtis sich von Waggon zu Waggon sukzessive nach vorn kämpft, findet der Film immer bizarrer werdende Bilder für die Kluft zwischen Arm und Reich.
Diese glasklare Dramaturgie gibt die Serienadaption auf. So soll ein Expolizist aus dem subproletarischen »tail« einen Mord in der ersten Klasse aufklären. Der Rapper und mit der Rolle von Thomas Jefferson im Hitmusical »Hamilton!« zum Star aufgestiegene Daveed Diggs spielt ihn als eigenbrötlerischen Intellektuellen. Da er von Anfang unter den Reichen ermittelt, kommt die mörderische Spannung zwischen dem vorderen und dem hinteren Zug, die den dystopischen Actionfilm befeuerte, in der Serie gar nicht erst auf.
Dafür setzt die mehrteilige Adaption neue Akzente. Wir erinnern uns: In der Kinoversion verkörperte Ed Harris den zynischen Tyrannen des Zugs. Dieses Schreckgespenst eines Technokraten erweist sich in der Serienversion als bloße Schimäre. Heimliche Chefin ist Melanie Cavill, hervorragend gespielt von Jennifer Connelly. Die Fiktion eines autoritären Herrschers erhält sie aus pragmatischen Gründen am Leben. Patriarchat? Hat ausgedient.
Mit Melanies zwiespältiger Agenda wird auch das System des Zugs als Gesellschafts-Metapher präziser ausgeleuchtet als in der Kinovorlage. »Snowpiercer«, der Film, bebilderte die comicartige Karikatur von Klassenkampf. In der Serienversion zeichnen sich zumindest schemenhaft politische Diskurse ab. Während Männerfiguren dabei seltsam blass bleiben, werden weibliche Charaktere in der Serienfassung differenziert ausgeleuchtet. Das Zusammenleben in dieser Gesellschaft auf Schienen wird dabei greifbarer als noch in der Kinofassung. Woher eigentlich bezieht dieser ewig dahinfahrende Zug seine Antriebsenergie? Dieses Problem, das der Film ausblendet, schneidet die Serie zumindest indirekt an. So zeigt einer der wenigen Blicke aus dem Zugfenster die postapokalyptische Schneewüste. Das Einzige, was noch funktioniert, sind sich drehende Windräder. Menschen, die von dieser erneuerbaren Energie profitieren könnten, gibt es in dieser vereisten Welt nicht mehr. Eine bittere Pointe.
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