Streaming-Tipp: »The Midnight Sky«
Man muss zweimal hinschauen, um den alten Mann hinter dem grauen Rauschebart zu erkennen, der im Barbeau Observatorium im ewigen Eis der Arktis in der Mikrowelle einen Teller Essen warm macht und dann müde und abgekämpft in den menschenleeren Essenssaal schlurft. Es ist George Clooney, der in dem postapokalyptischen Science-Fiction-Drama »The Midnight Sky« nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern den Spielfilm im Auftrag von Netflix auch inszeniert hat, wo er am Tag vor Weihnachten startet und mit seiner Mischung aus Verzweiflung, Einsamkeit und leiser Hoffnung erschreckend passend dieses Pandemiejahr ausklingen lässt.
Man schreibt das Jahr 2049, drei Wochen nach einer selbst verschuldeten globalen Apokalypse; die Menschheit ist fast vollständig ausgelöscht. Der Wissenschaftler Augustine (Clooney) ist als Letzter in einer Forschungsstation zurückgeblieben und versucht verzweifelt, Kontakt mit der Besatzung des Raumschiffs aufzunehmen, die von der Suche nach einem bewohnbaren Planeten zurückkehrt und nichts von der Zerstörung der Erde ahnt. Doch noch jemand ist im Gebäude, ein offenbar stummes Mädchen namens Iris (Caoilinn Springall), und es ist unklar, wer sie ist und was es mit ihr auf sich hat. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zu einer höher gelegenen Wetterstation, in der Hoffnung, dort besseren Empfang zu haben, und geraten dabei in einen radioaktiven Eissturm, während das Raumschiff mit Commander Tom Adewole (David Oyelowo), seiner schwangeren Partnerin Sully (Felicity Jones) und dem Rest der kleinen Crew Richtung Erde steuert.
Über weite Strecken genügen sparsame Dialoge, das mysteriöse Mädchen spricht gar nicht, Clooney als scheinbar todkranker Mann nur das allernötigste, der Kontakt zwischen Bodenstation und Raumfähre ist so fragil, dass eine Kommunikation eh kaum möglich ist. In Verbindung mit Aufnahmen endloser, unwirtlicher Weite außerhalb, hier das ewige Eis, dort das dunkle Weltall, entsteht so ein beklemmender Eindruck von Isolation und Verlorenheit. Eine umso zentralere Rolle nimmt der Filmscore ein, den Alexandre Desplat komponierte und der Sprachlosigkeit damit musikalische Motive zwischen weltlicher Dramatik und kosmischem Einklang entgegensetzt. Dem deutschen Kameramann Martin Ruhe gelingen dazu beim Dreh in Island und auf der Kanareninsel La Palma immer wieder fast metaphysisch anmutende Bilder, die selbst auf einem Bildschirm beeindruckend sind, auch wenn der Film an Clooneys dezidiert benannte Vorbilder, Steven Soderberghs »Solaris«-Remake und Alfonso Cuaróns »Gravity«, nicht heranreicht. Actionsequenzen gibt es dabei kaum, es ist eine kontemplative Auseinandersetzung über den auf seine Existenz zurückgeworfenen Menschen und seine Verantwortung für diese Welt.
Das Drehbuch von »The Revenant«-Autor Mark L. Smith nach dem Debütroman »Good Morning, Midnight« von Lily Brooks-Dalton hat Netflix an Clooney geschickt, um ihn für die Hauptrolle zu gewinnen, wie er im Gespräch zur virtuellen Premiere des Films erzählt. »Beim Lesen wusste ich gleich, wie alles aussehen sollte, schließlich kannte ich diese Welten aus »Solaris« und »Gravity«. Also schlug ich ihnen vor, auch gleich die Regie zu übernehmen.« Und er nahm etliche Änderungen am Skript vor, nicht zuletzt als die bereits besetzte Felicity Jones überraschend schwanger wurde und Clooney entschied, ihre Rolle entsprechend umzuschreiben. Eine Herausforderung, die sich dramaturgisch als Glücksfall erwies, fügt sie der Geschichte doch eine gänzlich neue Ebene und einen kleinen Funken Hoffnung hinzu.
Doch nicht immer trifft Clooney den richtigen Ton. Eine Szene, in der ein Teil der Besatzung nach einem Meteoritenhagel Schäden an der Außenhülle des Raumschiffs repariert und gemeinsam mit den Kollegen in der Kommandozentrale gut gelaunt in Neil Diamonds »Sweet Caroline« einstimmt, ist so fremdschämend peinlich, dass man sich wünscht, das Weltall möge den Schall verschlucken.
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