Buch-Tipp: Vor der Klappe ist Chaos
Cover: Zweitausendeins Verlag
Der Schweizer Fotograf und Filmenthusiast Beat Presser hat einen umfangreichen, wunderbar gestalteten Band herausgegeben, in dem er 55 Regisseure, Schauspieler, Autoren, Kameraleute und andere Mitarbeiter des Neuen Deutschen Films der sechziger und siebziger Jahre vorstellt. Dabei springt er immer wieder vom Damals ins Heute.
Die ältesten sind Peter Lilienthal und Mario Adorf, geboren 1929 und 1930, die jüngsten Harry Baer (1947) und Eva Mattes (1954). Sie alle erzählen von ihrer Arbeit, ihren Wünschen. Fotografiert hat Presser sie erst in den letzten Jahren: Diese Porträts zeigen, was aus ihnen geworden ist, wie sie heute leben. Einige, wie Wim Wenders, sind immer noch aktiv. Der Band enthält auch Dokumente, das Oberhausener Manifest von 1962 und das Hamburger Manifest von 2010.
Spannend und sehr persönlich sind die Erzählungen von Erika und Ulrich Gregor, die fröhlich in die Kamera lachen. Sie berichten von der Gründung und der frühen Arbeit des Berliner Kinos Arsenal. Sie betonen, »die einzigartige Montagetechnik und visuelle Bildkultur des Stummfilms« darf nicht vergessen werden. Wichtig für die Entwicklung der Filmkunst sind für sie auch die Kritiker, ihr »präferierter« war Wolfram Schütte, in der »Frankfurter Rundschau«.
Eine Zentralperson in diesem Buch ist lange nach seinem Tod immer noch und immer wieder Rainer Werner Fassbinder; viele der Porträtierten sprechen von ihm. Der Produzent Joachim von Vietinghoff erzählt, der junge, noch wenig bekannte Fassbinder habe bei »Katzelmacher« an einem Tag nur zehn Minuten lang gedreht, solange das Geld reichte. Besonders gerühmt werden auch Kluge und Straub; Syberberg nennt Kluge »den Chef«, Rudolf Thome Straub »unseren Gott«.
Einige der Befragten, so Alexander Kluge (»Film ist Literatur mit anderen Mitteln«) und Bruno Ganz (er spricht über den Unterschied zwischen Theater und Film), faszinieren ganz besonders. Edgar Reitz spricht mit Begeisterung von den großen zeitgenössischen Komponisten Stockhausen und Boulez. Der Produzent Walter Saxer erzählt sehr spannend von seiner Zusammenarbeit mit Werner Herzog in Lateinamerika, besonders an »Fitzcaraldo«.
Die Grundaussage aller Befragten ist ziemlich einhellig: Zur Zeit des Neuen Deutschen Films war die künstlerische Freiheit weit größer als heute. Inzwischen dominieren die Redakteure und Produzenten. Wim Wenders zweifelt sogar an der Zukunft des Kinos. Presser setzt dagegen als ironischen Kommentar Fotos des in den fünfziger und sechziger Jahren heiß geliebten Münchner Filmkunstkinos Theatiner.
Beat Presser: Vor der Klappe ist Chaos – Hommage an den neuen Deutschen Film. Zweitausendeins, Leipzig 2020. 228 S., 49,90 €.
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Kommentare
VOR DER KLAPPE IST CHAOS
HERZLICHEN DANK FÜR DEN GUTEN UND INFORMATIVEN ARTIKEL IN IHRER ZEITUNG ÜBER MEIN BUCH! DEN ARTIKEL HABE ICH UMGEHEND AUCH AN WALTER SAXER – ER LEBT NOCH IMMER IM FITZCARRALDO PRODUKTIONSHAUS IN PERU (ES IST INZWISCHEN EIN VON IHM GEFÜHRTES HOTEL) WEITERGELEITET.
VIELEN DANK UND VIELE GRÜSSE
BEAT PRESSER
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