DVD-Tipp: »Roy Andersson Collection«
Am ersten Tag dieses Jahres kam mit »Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach« ein wundersamer Film des schwedischen Regisseurs Roy Andersson in die Kinos. Die Perspektive der titelgebenden Taube, die von oben herab auf das seltsame Tun und Treiben der Menschen schaut, das sich dort in vielen, kleinen Erzählvignetten entfaltet, ist in Wirklichkeit die des Regisseurs, und man kann sie auch in seinen anderen Filmen entdecken. Dazu gibt es jetzt auch die Gelegenheit, in einer von good!movies veröffentlichten Box mit drei Filmen und vielen Bonusmaterialien.
Das Komische und das Herzzerreißende existieren in den Filmen Anderssons direkt nebeneinander. Sie handeln von den kleinen Absurditäten des Alltag, von den großen sozialen Ungerechtigkeiten und auch vom Erbe des Nationalsozialismus. Im Kern ist »Songs from the Second Floor«, der erste Film auf der DVD, die Geschichte eines Vaters, der seine Firma niederbrennt, um das Versicherungsgeld zu kassieren, und zwei Söhne hat, von denen der eine Dichter ist, apathisch in einem Irrenhaus lebt und kein Wort mehr spricht. Doch mit der bloßen Erzählung einer Handlung kommt man diesen Filmen nicht bei. Sie bestehen aus lauter Szenen, die wie Perlen an einer Erzählkette aufgefädelt sind. So sieht man im zweiten Film der Collection, »Das jüngste Gewitter«, nacheinander einen Mann, der in einem Zimmer Tuba spielt, und seine Frau, die schreit, einen Mann, der im Zimmer darunter mit einem Besenstil gegen die Decke schlägt, bis seine eigene Lampe herunterfällt, und schließlich einen Mann auf dem Balkon gegenüber, der diese beiden Szenen aus der Ferne gleichmütig betrachtet, während ihn seine Frau aus dem Off bedrängt.
Wie lebende Bilder muten diese Szenen an, durch ihre Kombination auch über die Grenzen der einzelnen Filme hinweg erschließt sich die absurde Komik des Lebens. So stellen die Männer, die in »Songs from the Second Floor« eine ganze Ladung Jesusfiguren auf eine Müllhalde werfen, fest, dass sie etwas Neues finden müssen, das sie verkaufen können. In »Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach« gibt es dann zwei Vertreter für Vampirzähne und Pupskissen. In einer grandiosen Szene dieses Films bewegen sich in einer Flughafenabfertigungshalle wie in Zeitlupe Heerscharen von Reisenden mit grotesk beladenen Gepäckwagen auf die Schalter zu. Statt an realen Schauplätzen zu drehen, baut Andersson ähnlich wie sein französischer Kollege Jacques Tati seine ganz persönliche künstliche Welt in seinem eigenen Stockholmer Filmstudio nach, mit Büros, Werkstätten und Schneideräumen. Mit einer Fülle eigenwilliger Werbefilme finanziert Andersson dieses Laboratorium, in dem er über die Jahre seinen ganz eigenen Stil entwickelt und verfeinert hat. Im Bonusmaterial vergleicht er selbst seine Arbeit mit der eines Malers: »Bei mir gibt es vorher kein Drehbuch. Wie ein Maler probiere ich lieber alles aus, die Größen, die Farben, die Dialoge, die Figuren, die Kamerawinkel, das sind viele Schritte auf dem Weg zum fertigen Film. Das ist der Vorteil, wenn man ein eigenes Studio hat!« Auch aus den Audiokommentaren erfährt man viel über die Entstehung dieser wundersamen, ebenso traurigen wie komischen Filme. Über ihre seltsam künstlichen Schauplätze, die sich mit ihren trüben, fahlen Farben aus Anderssons Erinnerungen an seine 50er-Jahre-Kindheit speisen, zugleich so minimalistisch klar eingerichtet sind wie Traumwelten und immer wieder an die sterilen Fotoarrangements von Thomas Demand erinnern, oder an eine unglamouröse Version der Bilder von Edward Hopper. Über die Laiendarsteller, die diese Räume bevölkern wie Gespenster und von Andersson aus dem wirklichen Leben gepflückt werden. Über ihre Geschichten, die zugleich wahrhaftig real und zeitlos entrückt sind, zugleich beißende Sozialsatiren und poetische Komödien.
Anbieter: good!movies
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