Film des Monats Juni: "Boyhood"
Texas im Jahr 2002. Die geschiedene Olivia zieht mit ihren Kindern aus der Provinz nach Houston. Für den verträumten sechsjährigen Mason und seine patente ältere Schwester Samantha ist das ein schwerer Schritt – auch deshalb, weil ausgerechnet jetzt ihr lange abwesender Vater sich wieder mehr um seine Kinder kümmern will. Während Olivia eine Ausbildung zur Psychologiedozentin absolviert und ihre kleine Familie in einer Mischung aus Fürsorglichkeit und Pragmatismus immer wieder neu erfindet – leider mit den falschen Partnern –, wächst Mason heran. Er bekommt Pickel, macht Wochenendausflüge mit dem Vater und der Schwester, tauscht den iMac gegen das iPhone, trinkt sein erstes Bier, erlebt seine erste Liebe. Als Mason 2013 ins College aufbricht, ist die Familie gewachsen und auseinandergedriftet. Alle haben sich verändert; aus dem Jungen ist ein Mann geworden, der weiß, was er will – soweit man das in diesem Alter überhaupt wissen kann.
Zwölf Jahre lang, von 2002 bis 2013, hat der amerikanische Autorenfilmer Richard Linklater an Boyhood gearbeitet – mit seiner Tochter, dem Schauspiellaien Ellar Coltrane in der Hauptrolle und bekannten Darstellern, denen man allesamt beim Älterwerden zusehen kann. Spiel- und Dokumentarfilmelemente, pointierte Dialoge und Alltagsbeobachtungen mischen sich – in einem Film, der ganz unangestrengt durch ein Jahrzehnt amerikanischer Geschichte und durch verschiedene Milieus führt. Boyhood erzählt vom Erwachsenwerden, von richtigen und falschen Entscheidungen, von der Bildung einer Persönlichkeit und der Toleranz, die nötig ist, um das Zusammenleben in modernen Patchworkfamilien zu meistern. Vor allem aber ist Boyhood ein Film über die Zeit: Sie dehnt sich in den langen, sensibel gefilmten Gesprächsszenen und beschleunigt sich in der Montage. So macht Linklater bewusst, was der Zuschauer am eigenen Leben nicht wahrnehmen kann: wie sich Erlebnisse und Erfahrungen, glückliche und schmerzliche, im Laufe der Jahre zu einer Biografie verdichten.
Start am 5.6.
zur Filmkritik von Rudolf Worschech
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