Videospielverfilmungen: Holt die Leute vom PC!
»Warcraft: The Beginning« (2016)
Bei den Videospielverfilmungen bewegt sich etwas. Arthouse-Regisseure steigen ins Geschäft ein, und das erfolgreiche Marvel-Modell hilft beim Worldbuilding. Wie jetzt bei »Warcraft«
Ein ambitionierter Kriegsfilm sollte es werden. Anstelle der einfachen Rollenverteilung, wie sie andere Vertreter des Genres favorisieren, werde die Geschichte beider Konfliktparteien erzählt. Helden, mit denen sich die Zuschauer identifizieren könnten, gäbe es auf beiden Seiten. Mit diesem Konzept bekam ein ambitionierter Regisseur sein millionenschweres Wunschprojekt vom Studio genehmigt. Bei dem vorgestellten Film handelte es sich jedoch nicht etwa um Clint Eastwoods über zwei Filme aus japanischer und amerikanischer Perspektive entfaltetes Weltkriegsdrama zur Eroberung Iwo Jimas.
Der versprochene ambivalente filmische Blick bezog sich auf keine historische Schlacht, sondern auf die Fraktionen der Horde und der Allianz vom Kontinent Azeroth. Dieser Konflikt wurde vor einigen Jahren in der Hochphase des 2004 gestarteten Onlinerollenspiels »World of Warcraft« von zwölf Millionen und wird aktuell immer noch von über fünf Millionen Spielern regelmäßig verfolgt und ausgetragen.
Regisseur Duncan Jones, bekannt für ambitionierte Science-Fiction-Filme wie »Moon« (2009) und »Source Code« (2011), überzeugte mit seinem Konzept die Vertreter des Videospiel-Kultlabels Blizzard und arrangierte in den letzten drei Jahren den ersten filmischen Ausflug in die Fantasywelt von Azeroth. Mit dem Ende Mai gestarteten Film »Warcraft – The Beginning« kehrt er zu den Anfängen der erfolgreichen Videospiel-Saga zurück. Die Geschichte basiert auf dem 1994 erschienen ersten Teil »Orcs and Humans« der »Warcraft«-Reihe. Bei diesem handelte es sich ebenso wie bei den 1995 und 2002 erschienen Fortsetzungen »Tides of Darkness« und »Reign of Chaos« noch um ein Echtzeit-Strategiespiel. Die Vernetzung von mehreren Hundert Spielern zum Onlinerollenspiel erfolgte erst in »World of Warcraft«, einer Freizeitbeschäftigung zwischen virtuellem Sportverein und laufend etwa mit Sonderkampagnen zu Weihnachten und Halloween aktualisiertem Themenpark.
Im Vergleich zum qualitätsstrotzenden »Game of Thrones«-Naturalismus erscheint die »Warcraft«-Welt betont bunt. Die Orks aus Azeroth sind nicht nur beliebte, spielbare Charaktere. Im Unterschied zu ihren generischen zähnefletschenden und säbelrasselnden Kollegen aus J. R. R. Tolkiens Mittelerde verfügen sie über eine ausdifferenzierte Kultur, die von den Spielern durch ihre performative Praxis noch weiter vertieft wird. In dieser Hinsicht lassen sich die »Warcraft«-Orks eher mit den raubeinigen, aber auch ausgesprochen loyalen Klingonen der Star Trek-Serien als mit den finsteren Fieslingen der klassischen Fantasy vergleichen.
Das Projekt von Duncan Jones erscheint nicht als forcierter Wechsel in den Mainstream, sondern erweist sich als durchaus konsequent. Für Videospiele als potenzielle Kunstform begeistert er sich in der gleichen Weise wie sein Vorgänger Sam Raimi, der auf Grund künstlerischer Differenzen mit Blizzard aus dem »Warcraft«-Projekt ausstieg, für die Marvel-Comics. Ganz im Sinne der klassischen Filmtheorie verknüpfen beide die Idee des Kinos als eines Fensters zur Welt mit ihrer persönlichen filmischen Sichtweise. Doch anders als im altbewährten Autorenfilm richtet sich ihr Blick nicht auf die alltägliche Realität, sondern die zu errettende Wirklichkeit der Fantastik.
Mit ihren Videospiel- und Comicverfilmungen beteiligen sie sich an einer medienübergreifenden Spiel- und Storyworld mit ausbaufähigen Anschlussstellen. Die Summe der Einzelteile ähnelt nicht mehr wie zu den Hochzeiten des klassischen Hollywoods einem kulturindustriellen Kathedralenbau, sondern einer kontinuierlich aus- und umbaubaren Mischung aus Abenteuerspielplatz und Themenpark. Der Löwe der MGM-Studios, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts als die glamouröse Heimstätte der größenwahnsinnigsten Kirchenbaumeister der Traumfabrik galten, wurde in einem schleichenden Prozess im digital reproduzierbaren Hollywood vom Dornröschenschloss der Disney-Studios abgelöst, die mit Pixar, Marvel und Lucasfilm über drei finanzstarke und auf Franchise-Konzepte spezialisierte Unterabteilungen verfügen.
Die Methode Marvels, die mit Unterstützung Disneys vom stilprägenden Comicverlag zum erfolgreichen Filmstudio avancierten, dient auch den aktuellen Videospielverfilmungen als Modell. Der umfangreiche etablierte Mythenkatalog des ursprünglichen Mediums wird nach und nach auf die Leinwand übertragen. Im Unterschied zu einer linearen Erzählung gibt es je nach Vorliebe gleich eine ganze Reihe von möglichen einzelnen Einstiegspunkten.
Die »World of Warcraft«-Konstrukteure von Blizzard heuerten gemeinsam mit dem renommierten Game-Studio Activision den ehemaligen Disney-Mitarbeiter Nick Van Dyk an, um die auf ihren Spielen basierenden zukünftigen Filme und TV-Serien zu betreuen. Dem »Warcraft«-Film sollen weitere Adaptionen zur Shooter-Reihe »Call of Duty« und zur erfolgreichen Spielzeugfigurenkollektion »Skylanders« folgen. Letztere verbindet bereits beispielhaft greifbares und virtuelles Spielzeug, indem die Figuren per Interface aufgesteckt und in das zugehörige Videospiel zugeschaltet werden können.
Weniger intermedial, aber mindestens genauso mainstreamtauglich gestaltet sich die filmische Vorgeschichte zu den vor allem als Handyspiel weit verbreiteten »Angry Birds«. Der aktuelle gleichnamige Animationsfilm schildert unter Beteiligung des »Simpsons«-erfahrenen Drehbuchautors Jon Vitti die Vorgeschichte des Konflikts zwischen wütenden Vögeln und hinterhältigen Schweinen. Dass eine unmittelbare filmische Umsetzung des besonders während längerer Bus- und Bahnfahrten beliebten Spiels, in dem Cartoon-Vögel taktisch durch die Luft katapultiert werden, keine besonders gute Idee gewesen wäre, demonstrierte letztes Jahr das Retro-Desaster »Pixels«. Adam Sandler blödelte sich unter der lustlosen Regie des »Gremlins«- und »Harry Potter«-Veteranen Chris Columbus durch eine Reihe von Realität gewordenen Automatenspielen ohne jeglichen narrativen und auch ohne ästhetischen Mehrwert. Spiele ohne Handlung setzt man besser wie in »Ralph reicht's« (2012) und »Tron: Legacy« (2010) als garnierende Retro-Referenz ein, oder man entwickelt wie in »Angry Birds« eine optionale Vorgeschichte. Die »Birds« unbearbeitet und ungefiltert als Grundlage für einen abendfüllenden Film zu verwenden, wäre ähnlich absurd wie eine epische Leinwandadaption von »Tetris«. Dass auf Wiederholung und einfachen Abläufen basierende Actionspiele ihren Reiz aus den Herausforderungen, dem individuellen Lernprozess sowie aus den durch wiederholtes Spielen entdeckten Kombinationen und nicht gerade aus der Qualität der Erzählung beziehen, verdeutlicht eine ganze Reihe von verunglückten Videospielverfilmungen: von »Super Mario Bros.« (1993) über »Street Fighter« (1995) bis hin zu »Doom (2005)«.
Die neue Generation von videospielaffinen Regisseuren und ihre auf transmediale Synergien abzielenden Produzenten haben offenbar aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Sie versuchen gar nicht erst, Spiele, die keine Handlung haben und brauchen, verkrampft in eine filmische Form zu zwängen, sondern behandeln sie als gleichberechtigte Bausteine einer weiter gefassten imaginären Welt. Auch wählen sie für Filme immer öfter solche Spiele als Inspirationsquelle, deren Genre eine hohe Affinität zu erzählerischen Strukturen aufweist. Das Genre der Rollenspiele, zu denen »World of Warcraft« zählt, kombiniert grundsätzlich erzählerische Elemente mit strategischen und taktischen Spielaufgaben. Die Hintergrundmythologie der Welt Azeroth, die in den »Warcraft«-Spielen durch die Architektur der Schauplätze angedeutet wird, reicht der Film von Duncan Jones im Breitwandformat nach.
Auch die sogenannten Action-Adventures bieten eine gute Vorlage für filmische Fortführungen, da sie eine ausgewogene Mischung aus Geschicklichkeit erfordernden Standardsituationen, Puzzle-Aufgaben und den Schauwerten klassischen Genrekinos bieten. Auf dieser Grundlage schaffen die Regisseure und Drehbuchautoren wie in einem Spieldurchgang ihre eigene Version des spielerischen Settings. Mit dem auf einer stilprägenden japanischen Horror-Adventure-Reihe basierenden »Silent Hill« (2006) inszenierte der Fantastik-Individualstilist Christophe Gans eine der bisher gelungensten Videospielverfilmungen. Gamedesigner Jordan Mechner verfasste mit dem auf seinem Spiel basierenden »Prince of Persia« (2010) nicht nur einen klassischen Abenteuerfilm, sondern konnte auch seinen langgehegten Wunsch, Drehbuchautor zu werden, realisieren. Paul W. S. Anderson und Milla Jovovich demonstrieren bis heute mit ihren 2002 begonnenen »Resident Evil«-Filmen nicht nur ihre Leidenschaft für unprätentiöse Genrevariationen und einfallsreiche, ausnahmsweise einmal tatsächlich sehenswerte 3D-Kompositionen. Die Filme entwerfen sogar eine neue Parallelhandlung zu den Ereignissen der Videospiele. Gelegentlich kreuzen sich ihre Pfade mit der Handlung der Games, aber insgesamt bleiben sie eigenständig.
Die gegenwärtige Dynamik der Wechselspiele zwischen Filmen und Games verfügt gelegentlich sogar über potenzielle Arthouse-Affinitäten. Duncan Jones bewegt sich nicht allein im Grenzgebiet zwischen Auteur-Ansätzen und filmischem Themenparkwächter. Der vom Game-Studio Ubisoft initiierte Film »Assassin's Creed«, der Ende des Jahres starten soll, entwirft ein eigenes Kapitel in der vor visuell eindrucksvollen historischen Hintergründen wie dem Florenz der Renaissance, dem Paris der Revolutionszeit oder dem viktorianischen London angesiedelten Videospiel-Saga. Für die Umsetzung wurde das komplette Team der letztjährigen »Macbeth«-Verfilmung engagiert; Regisseur Justin Kurzel drehte wieder mit Michael Fassbender und Marion Cotillard. Anstelle einer allzu bemühten Adaption setzen die Produzenten auf die Vielfalt der Interpretation. Denn jede Geschichte hat zwei Seiten, und Videospiele können noch ein paar weitere Blicke auf ihre fiktionalen Welten eröffnen.
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