Rewind: »Sturm über Washington« (1962)
»Sturm über Washington« (1962). © Columbia Pictures
Rassistisch? Frauenfeindlich? Muss man das canceln – aus dem Repertoire nehmen? Wir versuchen es anders. In der Serie »Rewind« stellen wir Filme vor, die auf der Höhe ihrer Zeit waren – und heute wieder einen Nerv treffen
Otto Premingers Politdrama »Sturm auf Washington« zeigte vor fast 60 Jahren, wie intrigant und mörderisch der Politikbetrieb in Washington abläuft.
»Advise & Consent« (USA, 1962). Regie: Otto Preminger
Was ist wahr in der Politik? Und was nur arrangiert, um die Gegensätze zwischen den Fronten zu klären? Beispielsweise die letzten Wochen in den USA. Spätestens Ende November war klar, dass Joe Biden die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, am 14. Dezember wurde der Sieg durch die Abstimmung des Wahlleutekollegiums amtlich. Aber Donald Trump leugnete seine Niederlage – bis zuletzt. Warum? Offensichtlich weil er hoffte, dass reales Geschehen nichts Endgültiges sein muss, sondern offen bleibt für Absprachen und Abkommen, für Intrigen, Manipulationen, Umschwünge. So deutlich wie niemals zuvor wurde: Auch politische Realität ist nur ein Effekt, der zu inszenieren ist. Verlogene Interviews, Reden, Tweets von Trump sorgten für Gefühle, die extrem brodelten, weil zu viele ihm begeistert zu folgen bereit waren.
Fest steht: In der Politik ist nichts endgültig, bis der letzte Pakt, die letzte Übereinkunft unter Dach und Fach ist. Schon Otto Preminger erzählte 1962 in seinem Politdrama »Advise and Consent«, deutscher Titel: »Sturm über Washington«, davon. In dem Film wirkt der US-Senat wie ein Hort eigennütziger Interessen und hinterlistiger Intentionen. Alle haben ihre Standpunkte, wenige nur eine Haltung.
Bei Preminger geht es allerdings nicht um die Wahl des Präsidenten. Im Zentrum steht das Hin und Her um die überraschende Nominierung eines liberalen, pazifistischen Politikers zum Secretary of State. Als dessen Kandidatur bekannt wird, beginnt sofort ein hektisches Treiben. Senatoren der Regierungspartei gehen daran, ihre Strippen zu ziehen, sie verhandeln, überreden, werben um jeden Einzelnen, um ihre Reihen zu schließen. Die Opposition stellt klar, dass sie, aus »Widerwillen«, den Kandidaten nicht zu akzeptieren gedenkt, und bereitet aggressiv ihre Gegenmaßnahmen vor. Auf der einen Seite geht es um Abmachung, Kompromiss, Durchsetzung. Auf der anderen um Intrige und Schikane, Lug und Trug. Im Innersten ist Premingers Film ein Trauerspiel um Irrungen und Wirrungen, Kabale und Macht. Gänge und Säle des Senats sind dabei gefilmt wie »ein Rattennest«.
Der Kandidat (Henry Fonda), so heißt es, sei »ein fähiger Mann mit Grundsätzen«. Das macht ihn für seine Anhänger so faszinierend und für seine Gegner so verdächtig. Die einen sehen in ihm einen »Prellbock zwischen Krieg und Frieden«. Die anderen bezweifeln seine Loyalität zu den USA und beschuldigen ihn, die amerikanischen Werte preiszugeben, die doch »first of all« gelten sollten. Vor dem Senatsausschuss wird dann sein Wille zur friedlichen Kooperation als Schwäche ausgelegt. Dem hält er entgegen, ein Krieg müsse seines Erachtens vermieden werden, »durch Säbelrasseln« aber sei dies nicht zu erreichen.
Der kauzige Senator aus South Carolina (Charles Laughton), der seit vierzig Jahren dem Kongress angehört, plädiert für Radikaleres: Er wolle lieber wie ein Mann kämpfen für das, woran er glaube, als so lange zu Kreuze zu kriechen, »bis von unserer Lebensweise« nichts übrig ist »als eine Handvoll verlorener Träume«. Der Kandidat spöttisch dazu: Der Senator tue so, »als ob heutzutage der Krieg noch immer ein feuchtfröhlicher Sturmangriff auf einen Hügel« sei – »mit Fahnen und Trompeten«. Gegen diese überholten Prinzipien wolle er seine offene Politik entwickeln, die auf Stabilisierung der Welt setze. Für diese Haltung wird er von Preminger als Einziger mit Wohlwollen charakterisiert, auch dann noch, als er zu einer Lüge greift. Er entscheidet sich in einem für ihn längst überholten, nebensächlichen Punkt zur Unwahrheit, damit er mit seinem Engagement für Frieden und Verständigung etwas erreichen kann.
Ist der Kandidat ein Aufrechter? Trotz einer Lüge? In der wohl berührendsten Szene sieht man, wie er einmal seinem kleinen Sohn, der ihn bei einem Gespräch belauschte, erklären muss, wieso kleine Lügen nötig sind, um im politischen Leben zu bestehen. Es sei eine »Washington D.C. kind of lie« – die andere Person weiß, dass du lügst, und weiß zugleich, dass du weißt, dass sie es weiß.
Sicherlich ist es ein Merkmal bei Preminger, ganz generell: die Vorliebe für besondere Ordnung der Figuren zueinander, ihr Agieren und Reagieren, er hatte es von Max Reinhardt im Theater gelernt. Vor allem in den Senatssitzungen findet er immer andere Zu- und Gegenordnungen für seine wichtigsten Akteure. Es wirkt, als stelle er sie auf eine Bühne: Mal ziehen sie ihre eigenen Bahnen, mal umkreisen oder kreuzen sie sich, mal prallen sie direkt aufeinander. Es ist ein ganz eigenes Spiel im eigentlichen Spiel, durch das Preminger dem innersten Kern seiner Charaktere näherkommt.
An der Beziehung des Einzelnen zu den Institutionen, in die er eingebunden ist, sei er stets interessiert gewesen, bekannte Preminger 1970. Zur Kirche. Zum Militär. Zur Politik. So ist es nicht verwunderlich, dass er in »Advise and Consent« den einzelnen Senatoren jeweils eine eigene Statur verleiht: dem Speaker der Demokraten (Walter Pidgeon), der alles im Griff haben will, eine entspannte Raffinesse; dem Junior-Senator aus Wyoming (George Grizzard), der sich groß aufspielt und alle nervt, einen überbordenden Ehrgeiz; dem Senator aus Rhode Island (Peter Lawford), der am Ende seine Freunde im Stich lässt, eine lässige Eleganz; und dem Senator aus South Carolina, der gern weiße Leinenanzüge trägt, einen boshaften Sarkasmus. Wie ein Berserker wütet er, legt jeden nur möglichen Hinterhalt und bekennt, er lege einen Strick aus, an dem sich der Kandidat selbst erhängen könne.
Den jungen Senator aus Utah schließlich (Don Murray), der, eigentlich aufrecht und engagiert, zwischen die tückischen Pläne anderer gerät, die er nicht durchschaut, zeichnet Preminger als rührigen Verlierer. In einer langen Nacht wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert, die er längst verdrängt hatte (während seiner Militärzeit hatte er sich auf die Affäre mit einem Mann eingelassen). Er versucht sich zu wehren, ohne einen Ausweg zu finden. Sein Tod beruhigt kurz das Drama. Selbst der Senator aus South Carolina besinnt sich, für einen Moment. Er wisse, er gelte als Querulant, als Großmaul, er bedauere dies; danach aber ändert er seine Einstellung um kein Iota.
Diese Ereignisse verweisen darauf, wie oft im Washingtoner Klüngel Bündnisse entstehen, die Entscheidungen hinter den Kulissen möglich machen. Preminger betont dadurch das Dramatische in und hinter der Politik. Auch die Stereotypen des Geschäfts, des »Zirkus«, wie es einmal heißt, die abgetrennt sind vom eigentlichen Sinn. Selbst dem Präsidenten (Franchot Tone) unterstellt er Selbstsüchtiges, als der von der Lüge seines Kandidaten erfährt. Es zeigt, ihm geht es nicht um Ehre und Moral, sondern um die Chance, die eigene Politik auch über seinen Tod hinaus durchzusetzen.
Erst dieser Tod erschüttert (und ernüchtert) alle. Plötzlich scheint die Zeit der existenziellen Exzesse vorbei. Aber dann trifft der neue Präsident erste Entscheidungen – und sofort sind die Fronten wieder eröffnet. Die Opposition überdenkt ihre Strategie. Und der Speaker der Demokraten verspricht, weiterzumachen wie bislang. Keine guten Aussichten für das Land also.
Das ganze Durcheinander zeigt Preminger nicht als situative Ausnahme, sondern als üblich, als Alltag. Da sind die Demokraten und Republikaner als unerbittliche Gegner, die keinen Weg zueinander finden. Zweitens: die Vorsitzenden der Fraktionen, die mit allen Mitteln um ihre eigenen Vorteile streiten – wie jahrelang Nancy Pelosi und Adison »Mitch« McConnell. Drittens: die Demokraten, die als Sozialisten verhöhnt werden und so angeblich ihr Land verraten. Viertens: Arglist, Denunziation und Verleumdung als gängige Mittel politischer Strategie. Da ist fünftens: der Präsident, der lügt und Lügen deckt. Und sechstens: die Parole »America first«. Erstaunlich die visionäre Fantasie, die vor fast sechzig Jahren Allen Drury (Roman), Wendell Mayes (Buch) und Otto Preminger da entwickelten.
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