NSU-Filme: Aufwühlend und beschämend
Anna Maria Mühe als Beate Zschäpe in »Heute ist nicht alle Tage« (2016)
Der deutsche Fernsehfilm wird immer brisanter und tagesaktueller. Mit dem von prominenten Regisseuren inszenierten Dreiteiler »Mitten in Deutschland« über die Verbrechen des NSU hat die ARD gerade eine neue Marke gesetzt. Wer die Serie im Fernsehen verpasst hat, kann sie direkt auf DVD nachholen
Immer wieder die Frage: Darf man das? Noch nicht abgeschlossene Geschichte als Spielfilm erzählen? Klar darf man. Man muss sogar. Wenn »Geschichte« tägliche Wirklichkeit in brennenden Flüchtlingsheimen ist – rund 1000 solcher Überfälle gab es allein im Jahr 2015! Wenn sie derartig viel mit dem aktuellen Zustand dieses Landes zu tun hat, mit gespenstisch anschwellenden Pegida- und Legida-Demonstrationen und zweistelligen AfD-Wahlergebnissen, mit dem Rechtsruck in europäischen Parlamenten, aber auch der Anfälligkeit einer orientierungslosen Jugend für radikale Ideologien.
Darf man das? Die menschlichen Seiten der Neonazis zeigen, ihre Gefühle und ihre Ängste? Man muss sogar, weil man es dem Zuschauer sonst viel zu leicht machen würde mit seinem Urteil aus der sicheren Distanz heraus. Natürlich muss man die Unzufriedenheit ernst nehmen, ohne deshalb automatisch in Gefahr zu geraten, die Taten zu verharmlosen. Natürlich ist die Wahrheit mit den Mitteln des Spielfilms oft besser zu fassen, natürlich trifft sie härter, wenn sie mit Gefühlen aufgeladen ist.
Das heißt vor allem, dass die von der ARD in Auftrag gegebene Spielfilm-Trilogie »Mitten in Deutschland: NSU« ziemlich unangenehm und aufwühlend ist, mutiges, aufregendes Fernsehen also, das Diskussionen anregt, statt saubere Faktenhäppchen zu servieren. Immer näher wagt sich das deutsche Fernsehen derzeit an die politische Gegenwart, nach Friedemann Fromms Miniserie »Die Stadt und die Macht« über einen fiktiven Berliner Politiksumpf, der vom echten gar nicht so weit entfernt ist, und Kilian Riedhofs »Der Fall Barschel« geht es jetzt um die zwischen 2000 und 2006 verübten NSU-Morde an neun Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund.
Weil diese Geschichte erzählt wird, während in München noch der quälend mühselige Prozess der Wahrheitsfindung läuft, wird im Vorspann darauf hingewiesen, dass die Beschuldigten in ihren Aussagen einzelnen Tatbeständen widersprochen haben, dass die diesbezügliche Darstellung im Film also eine Interpretation sei: »Wir erfinden nichts«, sagt Regisseur Züli Aladag, »die Filme werden aber dennoch fiktional« – weil man im Spielfilm eben immer nur erzählen kann, was mutmaßlich geschehen ist, und die Lücken füllen muss, die die Realität hinterlässt. Dabei ist es eine ziemlich geniale Idee der Produzentin Gabriela Sperl gewesen, die Ereignisse von drei Regisseuren aus drei verschiedenen Perspektiven aufrollen zu lassen, denn auf diese Weise können sich Informationen und Argumente akkumulieren, ergänzen und durchdringen, während die Regisseure zugleich von abwägender Vollständigkeitspflicht befreit sind.
Die schwerste Aufgabe hatte Christian Schwochow, der im ersten Film »Heute ist nicht alle Tage« für die Täter zuständig ist. Wenn Anna Maria Mühe da in den ersten Monaten nach dem Mauerfall aus klaren Augen in eine Welt im Wandel schaut, dann könnte sie kaum weiter entfernt sein von der verstockten Beate Zschäpe, die in den letzten Monaten im Gerichtssaal zu sehen war. Sie ist ein junges, naives Mädchen, das zusammen mit seiner besten Freundin Sandra die Wendezeit erlebt, und während Beate dem jungenhaften Charme und dem mitreißenden Drive von Uwe Mundlos erliegt, reagiert Sandra entsetzt auf den Neonazi-Wind, der ihr da entgegenbläst. Immer wieder macht Schwochow die Bruchlinien schmerzhaft spürbar, in denen die Stimmung kippt, von jugendlichem Übermut zu bösem Fremdenhass, in denen eine berechtigte Sehnsucht nach Zukunft in Neonazi-Parolen und fremdenfeindliche Gewalt umschlägt. Dabei schonen die Filmemacher weder die Zuschauer noch sich selbst. Am Ende eines Drehtages, an dem sie hundert Mal »Sieg Heil« geschrien hatten, erzählte der Regisseur, hätten sie alle zusammen oft »Nazis raus!« gebrüllt – »um uns zu befreien, als würde man duschen.« Mühe hat nach den Dreharbeiten gesagt, dass sie nicht sicher sei, ob sie so eine Rolle noch einmal spielen könnte, und auch die Darsteller der beiden Uwes, Albrecht Schuch und Sebastian Urzendowski, gerieten an die Grenzen des für sie Darstellbaren, gerade weil sie im Film ihre Distanz nie spürbar machen. Die knapp zehn Jahre, die der Film vom Fall der Mauer bis zum Abtauchen des Trios in den Untergrund spannt, zeichnen ein Stimmungsbild Deutschlands, das bis heute nachwirkt.
Der emotional aufwühlendste und beschämendste Film der Trilogie aber ist Züli Aladags »Die Opfer – Vergesst mich nicht«, der auf dem Bericht »Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater« basiert, den Semiya Şimşek, die Tochter des ersten Opfers Enver Şimşek geschrieben hat. Zu sehen, wie die Familie des Opfers, die überhaupt nicht dem Klischee eines rigiden, traditionellen Islam entspricht, über Jahre von Polizeibeamten schikaniert wird, weil die in ihren Vorurteilen so gefangen sind, dass sie sich einen fremdenfeindlichen Zusammenhang gar nicht vorstellen können und stattdessen Drogendelikte und Eifersuchtsdramen konstruieren, ist fast noch erschütternder als die furchtbaren Taten selbst.
Im dritten Teil der Trilogie, dem zwischen Krimi und Verschwörungsthriller oszillierenden Film »Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch«, taucht Florian Cossen (»Coconut Hero«) zwischen den konkurrierenden Abteilungen der Kripo und des Verfassungsschutzes ins Dickicht der Polizeiarbeit. Wenn man sich fragt, wie es in Deutschland möglich ist, dass die V-Männer des Verfassungsschutzes die Neonazi-Szene umfassend infiltrieren und doch nichts mitkriegen von zehn Morden und einer Serie von Anschlägen und Banküberfällen, dann hallt ein Satz nach, den Uwe Mundlos im ersten Teil spricht: »Wir sind nicht zu sehen, aber unsere Taten!« So ergänzen und durchdringen sich die drei Filme auf immer neue Weise. Statt ein starres Bild zu entwerfen, bringen sie viele verschiedene Aspekte zum Oszillieren. Im »Zeit«-Interview sagte Züli Aladag, dass er diesen Film nicht aus Wut, sondern aus Liebe zu diesem Land gemacht habe: »Gerade dass es diese Filme gibt, ist ein Beleg dafür, dass wir uns in Deutschland offen mit kritischen Themen auseinandersetzen.«
Als Stream in der ARD-Mediathek bis 30.6.2016 verfügbar
»Die Täter – Heute ist nicht alle Tage«
»Die Opfer – Vergesst mich nicht«
»Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch«
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