Nahaufnahme von Daniel Kaluuya
»Judas and the Black Messiah« (2021). © Warner Bros. Pictures
Als Black-Panther-Aktivist in »Judas and the Black Messiah« hat Daniel Kaluuya in diesem Jahr Preise gesammelt: Oscar, BAFTA, Golden Globe. Dabei ist das US-Debüt des dynamischen Briten noch gar nicht lange her
Nehmen wir die Extreme von zwei der bekanntesten Rollen, die Daniel Kaluuya verkörpert hat. Da ist zunächst Chris Washington, der in »Get Out« den Antrittsbesuch bei den Eltern seiner weißen Freundin macht. Verhalten und nahezu wortlos reagiert er auf eine Umgebung, die sich als zunehmend feindlich erweist. Wenn er gegen Ende des Films paralysiert an einen Stuhl gefesselt ist, erschafft er eine enorme Intensität, allein mit seinen Augen, in denen sich schleichend Entsetzen ausbreitet. Im Kontrast dazu zieht der Black-Panther-Aktivist Fred Hampton in »Judas and the Black Messiah« einen riesigen Raum voller Menschen vor allem mit der polternden Kraft seiner Stimme in seinen Bann, eine charismatisch wuchtige Leistung, die ihm einen Oscar einbrachte – als siebtjüngster Preisträger in der Kategorie »Männlicher Nebendarsteller.« Zwischen diesen Extremen gibt es im Spiel von Kaluuya unendlich viele Schattierungen von Komik, Horror, Romantik und Bedrohlichkeit zu entdecken.
Geboren wurde Daniel Kaluuya 1989 in England als Sohn ugandischer Immigranten. In die Schauspielkarriere rutschte er ohne erklärten Vorsatz, im Grunde nur weil ein Lehrer seine Selbstdarstellungskünste in geordnete Bahnen lenken wollte und seiner Mutter empfahl, ihn in einen Theaterkurs zu schicken. Bereits mit neun Jahren trat er im Schultheater auf und schrieb auch gleich, basierend auf der amerikanischen Sitcom »Keenan & Kel«, sein erstes Stück, dessen Aufführung ihm das entscheidende Erfolgserlebnis verschaffte: Ich kann etwas! Und das macht Spaß! Als 13-Jähriger fand er seinen Platz in einer Laientheatergruppe, in der er neben dem Spielen auch wieder Stücke schrieb und inszenierte. Als die Macher der britischen Teenieserie »Skins« Jugendliche suchten, die authentisch aus ihrer Perspektive Geschichten erzählen konnten, war er gut vorbereitet. Nach der ersten kleinen Rolle vor der Kamera, 2006 in »Shoot the Messenger«, erlangte er als Posh Kenneth in »Skins« eine gewisse Bekanntheit im Umfeld der ersten Generation der Teenager aus Bristol. Da ist ein ungeniert extrovertierter Junge mit Babyspeck zu sehen, dessen Gesichtszüge ununterbrochen in entwaffnendes Lachen ausbrechen, nur um unvermittelt in Betroffenheit oder Traurigkeit umzuschlagen, ein offenes und freies, komisches Talent mit Alleinunterhalterpotenzial, das sich manchmal selbst bremsen muss. Bis heute schimmert dieser Junge in Talkshow-Interviews durch, wenn Kaluuya erzählt, dass seine Mutter nach zwei Oscarnominierungen und einem Oscar im Grunde immer noch denkt, er solle lieber einen anständigen Beruf mit geregelten Arbeitszeiten ergreifen.
Später schrieb Kaluuya auch zwei Episoden der »Skins«-Serie, die in England ein wichtiger Talent-Inkubator war. Unter anderem begegnete er hier Dev Patel, Nicholas Hoult und Hannah Murray: »Mir ging es nie um Startum, ich wollte lieber Teil einer Welle sein«, kommentierte er später. In diesem kreativen Umfeld fühlte er sich wohl, und als er den »Skins« 2009 entwachsen war, bekam er jede Menge Gelegenheit, Dinge auszuprobieren, in vielen kleinen Auftritten in bekannten britischen Serien wie »Lewis«, »FM«, »Dr. Who«, »Silent Witness«, »Bellamy's People« und »Psychoville« sowie Filmen wie »Johnny English – Jetzt erst recht!«.
Es folgte ein furioser Aufmerksamkeitsschub mit dem Boxerdrama »Sucker Punch« am Londoner Royal Court Theatre und im Fernsehen, in der legendären zweiten Folge der Anthologieserie »Black Mirror«. Als Bingham »Bing« Madsen ist er eine von zahllosen Arbeitsbienen, die auf dem Standfahrrad Energie generieren und dafür Merits verdienen, die Währung der Zukunft, mit der man fürs virtuelle Ich Kostüme und Statussymbole erwirbt oder Zugang zu einer Talentshow, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben verbunden ist. Während die meisten Kollegen sich den Arbeitsbedingungen entsprechend degeneriert verhalten, verteidigt Bing seine Würde und eine zarte Liebesgeschichte gegen das unmenschliche System. Als dieses Mädchen bei der Talentshow, die er ihr mit seinen Merits ermöglicht, nicht als Sängerin, sondern als Pornostar verpflichtet wird, ist es vorbei mit der Zurückhaltung. Mit einem rebellischen Gefühlsausbruch in der Talentshow provoziert er das System, doch in der hässlichen neuen Welt der Rundumberieselung mutiert die ungewohnt emotionale Kritik zur vermarktbaren Ware. In nur einer Stunde zieht Daniel Kaluuya da alle Register seines Könnens, von der stoischen Zurückhaltung über den zarten Flirt bis zur Explosion. Kein Wunder, dass der Auftritt in Hollywood die Wirkung einer hochkarätigen Audition hatte: Als »15 Million Merits« vier Jahre später via Netflix in den USA zu sehen war, erregte die Folge unter anderem die Aufmerksamkeit des Regisseurs Jordan Peele, der Kaluuya mit der Hauptrolle in »Get Out« seinen Durchbruch und die erste Oscarnominierung verschaffte. Danach dauerte es eine Weile, bis die Amerikaner begriffen, dass er keiner von ihnen war, sondern ein Kind der britischen Arbeiterklasse.
Im Folgenden entwickelte Kaluuya eine Vorliebe für gesellschaftlich relevante Themen, Rassismus, Diskriminierung, Medienkonsum und Kapitalismuskritik, die im Grunde schon in seinem Kinodebüt »Shoot the Messenger« mitschwangen: »Damals dachte ich mir: Wow, ich kann Rollen haben, die einen Unterschied machen. Bemerkt man das erst mal, will man es darunter nicht mehr tun. Wenn man solche Prinzipien annimmt, muss man seinen Frieden damit machen, dass man wahrscheinlich nicht mehr ganz so viel arbeiten wird.« Doch von Anfang an hatte Kaluuya ein ziemlich gutes Radar für Filme, die etwas zu sagen haben, also immer wieder die Lebensumstände schwarzer Menschen in einer von Weißen dominierten Welt thematisieren. Diese grundlegende Integrität macht ihn nach dem viel zu frühen Tod von Chadwick Boseman, mit dem er in »Black Panther« vor der Kamera stand, zu dessen würdigem Nachfolger.
So begann 2017 ein ziemlich beeindruckender Run; er arbeitete mit jedem der neuen wilden, originellen schwarzen Regisseure seiner Generation. Auf Jordan Peele folgte Ryan Coogler mit dem ersten schwarzen Marvel-Helden »Black Panther«, der einen eigenen Film mit gesellschaftlicher Sprengkraft bekam – der von Wesley Snipes gespielte Marvel-Vampirjäger »Blade« hatte 1998 diese Liga noch nicht erreicht. Danach drehte Kaluuya mit Steve McQueen »Widows«, ein Heist-Movie über Gangster-Witwen, die die Geschäfte ihrer kriminellen Ehemänner übernehmen, das erneut unterfüttert ist mit Kommentaren zur Dynamik zwischen Geschlechtern, Klassen und Rassen. Als Auftragskiller legte er eine furchteinflößende Gewalttätigkeit an den Tag. In der legendären Rapszene in der Turnhalle einer Schule belauert er sein Opfer wie eine Raubkatze, wiegt es in fragiler Sicherheit, um dann umso härter zuzuschlagen. Eine wuchtige Szene voller Widersprüche. »›Ich bin nicht einfach nur wütend auf dich und werde dich darum umbringen‹, sondern: ›Du bist wirklich gut, als Rapper, aber ich bringe dich trotzdem um!‹«, sagte Kaluuya darüber.
Auf die Männer-Regieriege folgte noch der von Melina Matsoukas inszenierte »Queen & Slim«, wo ein Paar nach einem unbefriedigenden Tinder Date in eine Kontrolle gerät – und der von Kaluuya verkörperte Slim der Polizeigewalt zuvorkommt. Auf der Flucht, im Kampf gegen die allgegenwärtige White Supremacy, werden die indifferenten Dater erst zu Verbündeten, dann zu Liebenden. Schon wieder so ein Film, der mit seinem funkelnden Unterhaltungswert einige Wahrheiten transportiert, über eine Gesellschaft, in der people of color stets den Kürzeren ziehen. Daniel Kaluuya nimmt seine Verantwortung als Galionsfigur des Black Empowerment souverän wahr, ohne sie je zur verbissenen message verkommen zu lassen. Das gilt in besonderer Weise für »Judas and the Black Messiah«, den Shaka King nach eigenen Worten ohne Kaluuya nicht gedreht hätte.
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