Nahaufnahme von Billy Crudup
Billy Crudup in »Jahrhundertfrauen« (2016). Foto: © Splendid
Seit 20 Jahren ist Billy Crudup einer der souveränsten Schauspieler des amerikanischen Kinos. Nur zum Star hat es irgendwie nie gereicht. In diesem Monat spielt er gleich zwei markante Nebenrollen in denkbar gegensätzlichen Filmen, Ridley Scotts »Alien: Covenant« und in der Charakterstudie »Jahrhundertfrauen«
Es gibt ihn vor allem im amerikanischen Filmgeschäft, diesen eigentümlichen Mechanismus aus Hype und Vergessen, dessen Ablauf stets gleich ist: Ein junger Schauspieler wird in den Medien als nächster Star seiner Generation gepriesen – und verschwindet dann plötzlich im endlosen Pool der Nebendarsteller. Jim Caviezel und Guy Pearce sind markante Beispiele. Und natürlich Billy Crudup. Mitte der neunziger Jahre galt er als kommender leading man. Da war er noch keine 30 und hatte sein Studium an der New Yorker Tisch School of the Arts erst ein paar Jahre zuvor beendet. Am Broadway hatte er bereits Erfolge gefeiert und fürs Kino eine Reihe ambitionierter Filme gedreht. Bezeichnenderweise sind die meisten seiner damaligen Rollen heute eher diffus in Erinnerung. Er war ein als Kind missbrauchter Killer in Barry Levinsons »Sleepers« (1996) und ein egozentrischer Sportstar in Robert Townes »Without Limits« (1998). Ganoven und Sportler, Cops und Musiker: Wenn es einen wiederkehrenden Crudup-Leinwandcharakter gibt, dann sind es leicht ins melancholische verschobene Varianten amerikanischer Archetypen. Sei es ein moderner Cowboy in Stephen Frears' »The Hi-Lo Country« (1998), ein aufstrebender Rockmusiker in »Almost Famous« (2000) oder ein Arbeitersohn in dem Kleinstadtdrama »Inventing the Abbots« (1997), der aus Rache die Tochter einer Upper-Class-Familie verführen will – charismatisch, draufgängerisch und skrupellos ist Billy Crudup da: ein all-american bad boy.
Aber selbst in zentralen Rollen schien er immer ein bisschen zu sehr am Rand des Geschehens zu stehen, um die Massen zu erreichen. Das nachdenkliche Image, das er bis heute in seinen Interviews pflegt, schien auf seine Rollen abzufärben. In Tim Burtons »Big Fish« (2003) war er eher Beobachter des märchenhaften Geschehens; in dem historischen Theaterfilm »Stage Beauty« (2003) verschwand er in Frauenkleidern, und in »Watchmen« (2009) hinter dem fluoreszierenden Kostüm des Superhelden Dr. Manhattan. Als er am Broadway den »Elefantenmensch« gab, fragte der Filmhistoriker David Thomson, ob Crudup womöglich ganz bewusst gegen sein gutes Aussehen anspiele.
Dafür kamen Filme, in denen er das unverkennbare Zentrum bildete, bei uns oft nicht einmal auf DVD heraus. Zu nennen ist hier vor allem Keith Gordons »Waking the Dead« (2000). Crudup spielt darin einen vielversprechenden Jungpolitiker, der den Tod seiner großen Liebe, einer linken Polit-Aktivistin (Jennifer Connelly), auch nach Jahren nicht verwinden kann. Mit ungeheurem Nuancenreichtum bewegt Crudup sich da auf dem schmalen Grat zwischen Wahn und Schmerz, äußerlicher Klarheit und innerer Erstarrung. Sein blendendes Aussehen und seine schneidige Aura unterläuft er mit seiner sanften Stimme und seinen großen Augen, in denen sich eine tiefe, niemals heilende Verletztheit spiegelt. Nicht nur wegen Crudup lohnt es sich, diese Filmperle aufzuspüren.
»Waking the Dead« wurde von Tom Cruise produziert, der aber die Hauptrolle doch nicht spielen wollte. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch Crudups Karriere: nur die zweite Wahl zu sein oder zur falschen Zeit die falsche Entscheidung zu treffen. So war er für die Hauptrolle in »Titanic« im Gespräch, ging aber nicht zum Treffen mit James Cameron. »Mit mir hätte der Film sowieso nur 200 000 Dollar eingespielt,« kommentierte er das später lakonisch. Umgekehrt wollte er bei »Public Enemies« John Dillingers Häscher Melvin Purvis spielen – und bekam nur den undankbaren Part des J. Edgar Hoover.
Dazu passt auch, dass Crudup die größte Medienaufmerksamkeit wegen seiner Trennung von Mary-Louise Parker 2003 zuteil wurde: Sie war schwanger, er hatte sich in Claire Danes verliebt. »Danach wurden mir nur noch Rollen wie Charles Manson oder Jeffrey Dahmer angeboten.« Ganz so schlimm war es zwar nicht, aber der korrupte MI:6-Agent in »Mission: Impossible III«, der britische Doppelspion in »Der gute Hirte« oder eben J. Edgar Hoover waren auch nicht gerade Sympathieträger.
In den letzten Jahren hatte Crudup wieder Rollen, die sein Talent für Ambivalenzen stärker fordern. Im Oscar-Preisträgerfilm von 2016, »Spotlight«, verkörperte er den Bostoner Staatsanwalt Eric Macleish mit einer unerwarteten moralischen Mehrdeutigkeit, und in »Jackie« machte er den »Life«-Reporter Theodore H. White mit typischem Understatement zu einer heimlichen Schlüsselfigur: ein Geschichtsschreiber zwischen Wahrheit und Legende. Auch bei den schönen »Jahrhundertfrauen« vereint Crudup scheinbar Widersprüchliches. Als esoterischer Handwerker und bodenständiger Lebenskünstler schafft er in wenigen Szenen eine Männerfigur, die ganz am Rand steht, ohne die die exzentrischen Frauengeschichten des Films aber kaum funktionieren würden. 20 Jahre nach seinem ersten Film ist aus dem potenziellen leading man ein höchst verlässlicher supporting actor geworden. Der 48-jährige Crudup nimmt es gelassen: »Ich scherze immer, dass meine Fünfziger so richtig mein Jahrzehnt werden«, sagte er kürzlich in der L.A. Times. Selbstironie hin oder her – ein bisschen Hoffnung meint man da herauszuhören.
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