Nahaufnahme von Aylin Tezel
Aylin Tezel in »Am Himmel der Tag« (2012)
Sie begann mit Fernsehkrimis, ist »Tatort«-Kommissarin und arbeitet sich über die deutsch-türkische Kinokomödie »Almanya« ins dramtische Fach vor. Jetzt steht der hochbegabten Aylin Tezel alles offen
Nur wenige Minuten ist sie im Bild, aber sie hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Ihr schmales Gesicht, die traurigen Augen, der fragende Ausdruck und die weiche Nachsichtigkeit gegen alle Unbill zeichnen ihre Darstellung aus. Sie ist Emily, die abwesende Freundin des todkranken Max Riemelt. Er hat sie verlassen, sie weiß nicht warum. In der Dynamik von Uwe Jansons Film »Auf das Leben!« – der jüdische Trinkspruch schlechthin – ist sie die Gegenspielerin von Hannelore Elsner, einer Überlebenden des Holocaust und selbstmordgefährdeten Instrumentenbauerin. Während Hannelore Elsner neunzig Prozent des Films bestimmt, bleiben Aylin Tezel nur wenige Szenen. Welche Kraft, darin zu bestehen.
Aylin Tezel ist die Tochter eines deutsch-türkischen Medizinerehepaars. Seit sie sechs ist, tanzt sie. Erst klassisches Ballett, dann zeitgenössischen Tanz und Hip-Hop. Eine Ausbildung zur Tanzpädagogin kam dazu. Doch studiert hat Aylin Tezel an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin. Ihre plötzliche Karriere bei Film und Fernsehen beendete das Studium vorzeitig. »Ein Fall für zwei«, »Tatort«, dann »Unschuld«, ihr erster Kinofilm unter der Regie von Andreas Morell. Auch hier, in dem frei nach Schnitzler inszenierten Reigen durch Berlin, ist sie in wenigen Einstellungen so kraftvoll wie fatal. Sie spielt eine minderjährige Türkin, die einen Musiker bedrängt. Auch in der Serie »Türkisch für Anfänger« hatte sie eine Rolle, doch wirklich bekannt wurde sie erst in dem wunderbaren Film »Almanya – Willkommen in Deutschland« von den Schwestern Nesrin und Yasemin Şamdereli, die in ihrem Spielfilmdebüt mal komisch, mal ernsthaft von den ersten türkischen Einwanderern in Deutschland erzählen. Aylin Tezel ist Canan, ein durch und durch deutsches Mädchen mit türkischen Wurzeln, das von seinem britischen Freund David schwanger ist und das der konservativen Familie verheimlicht. Selbstbewusst ist ihre Ausstrahlung hier, weltoffen und international. Die Sympathie, die man für sie empfindet, trägt die Kritik an der eingeschränkten Weltsicht anatolischer Einwanderer.
Seit 2012 ist Aylin Tezel »Tatort«-Kommissarin in Dortmund, Nora Dalay. Auch hier spielen Kraft und Empfindsamkeit eine wichtige Rolle. Nora lebt in einem sozialen Brennpunkt und engagiert sich für bessere Lebensbedingungen ihrer Mitbürger. Trotz ihrer Jugend ist sie bereits Kriminaloberkommissarin, engagiert, ehrgeizig, aber keine Streberin. Als sie sich in einen Kollegen verliebt, halten beide ihre Verbindung geheim, um den Job nicht zu belasten. Und als sie schwanger wird, entscheidet sie sich allein für eine Abtreibung. Das Team aus Dortmund ist jung, frisch und etwas anders als die Altvorderen aus Köln oder München, und man darf gespannt sein, wie es sich weiter entwickeln wird.
In »3 Zimmer/Küche/Bad«, der furiosen Komödie von »Kreuzweg«-Regisseur Dietrich Brüggemann, ist Aylin Tezel die rigorose Maria. Sie will von Freiburg nach Berlin ziehen, schmeißt aber den Grund dafür, ihren Freund Philipp, auf einem Autobahnparkplatz aus dem Auto, weil er auch noch eine andere liebt. In Berlin lebt sie fürs Erste im Laderaum ihres Kleintransporters, ähnlich wie Max Riemelt in »Auf das Leben!«
Der Film allerdings, der ihr am meisten abverlangte, ist »Am Himmel der Tag« von Pola Beck aus dem Jahr 2012. Darin spielt sie die junge Architekturstudentin Lara, die nach einem One-Night-Stand ungewollt schwanger wird und sich nach vielen Zweifeln dafür entscheidet, das Kind zu bekommen. Sie richtet sich ein in dieser frühen Mutterrolle und macht ihr Arbeits- zum Kinderzimmer. Doch das Kind stirbt im Mutterleib, was Lara nicht akzeptieren kann. Sie trägt es so lange in sich herum, bis es fast zu spät ist. Von herzlicher Fröhlichkeit bis zur fast pathologischen Trauer reicht das Gefühlsspektrum, das Aylin Tezel in diesem Film ausspielen muss. Sie hat das Klischee der Deutsch-Türkin hinter sich gelassen und sich als reife, vielfältige Schauspielerin hervorgetan, der man auch schwierige Rollen zumuten kann. Sie hat ein Gesicht, das, hochattraktiv, dazu einlädt, in ihm zu lesen, Stimmungen nachzuempfinden und Zwischentönen nachzuspüren. Mit ihren 31 Jahren ist sie noch lange nicht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen.
»Macho Man« startet am 29.10. in den deutschen Kinos
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