Kritik zu Am Himmel der Tag
Das Fremde in mir: In ihrem Debütfilm erzählt Pola Schirin Beck von einer Frau, die mit 25 noch nicht weiß, wo sie hin will und eine unglückliche Schwangerschaft durchleidet. Großartig in der Hauptrolle: die aus »Almanya« bekannte Aylin Tezel
Es beginnt mit einem Kuss, zwischen Lara (Aylin Tezel) und Nora (Henrike von Kuick). Doch was der so genau bedeutet im Verhältnis der beiden, das wird durchaus offen gelassen. In viele Richtungen könnte der Film sich in seiner ersten halben Stunde entwickeln. Das Ungefähre gehört zum Lebensgefühl der 25-jährigen Lara, die mehr oder weniger lustlos Architektur studiert – vielleicht weil es ihre Eltern so wollen, die ihr den Berufsweg schon vorgezeichnet haben. Und neben dem halbherzigen Studium gibt es Alkohol, Drogen, Partys. Der Film übertreibt das nicht, die Kamera sucht förmlich nach dem Gesicht von Aylin Tezel, fängt es immer wieder ein, ohne ihr wirklich nahezukommen; wir bleiben distanzierte Beobachter bei diesem Sich-Treiben-Lassen einer jungen Frau, die ihren Platz im Leben noch nicht so recht gefunden hat. Abends schaut Lara immer unters Bett, dass da keine Monster sind, und vielleicht ist sie auch ein bisschen zu alt für ihr auch von Rivalität geprägtes Verhältnis zu Nora.
Und Nora ist denn auch der Auslöser für die Tour de force der Gefühle, für Glück und Katastrophe, die Lara erleben muss. In einem Club angelt sich Nora den Architektur-Dozenten, den sich eigentlich Lara ausgeguckt hatte, und Lara antwortet mit einem Quickie auf der Toilette mit dem Barkeeper. »Sie sind schwanger! Glückwunsch!«, heißt es ein paar Wochen später bei ihrer Frauenärztin. Nie kommt in diesem Film der Gedanke auf, die Schwangerschaft könnte auch eine Bestrafung für ihr unstetes Leben sein, es ist einfach ein Wendepunkt in ihrem Leben. Eine Abtreibung kommt für Lara nicht in Frage, nach ein paar kruden Reaktionen schüttet sie demonstrativ den Schnaps in den Ausguss, verändert ihre Wohnung, findet sich damit ab, allein ihr Kind zur Welt zu bringen. Sie freundet sich mit dem niederländischen Nachbarn in ihrem Plattenbau in Berlin an. Auch da bleibt, zumindest am Anfang, vieles offen.
Immer mehr konzentriert sich der Film auf seine Hauptfigur, und er gewinnt Nähe, ohne aufdringlich zu sein. Als sich bei einem Besuch eines Möbelhauses ihr Kleid blutrot färbt, wird Lara mit dem Umstand konfrontiert, dass das Kind in ihrem Bauch tot ist, durch eine Umschlingung der Nabelschnur, im sechsten Monat. Eine grausame Diagnose, man muss eine künstliche Geburt einleiten. Doch Lara kann diese Diagnose irgendwie nicht annehmen, irrt durch Berlin. Einmal ist sie bei ihren Eltern zu Hause, wo der Vater gerade Geburtstag feiert. Man singt das Geburtstagslied »Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst . . . «
Das klingt plakativer als es der Film schildert. Denn nie gleitet »Am Himmel der Tag« ins Melodramatische oder Rührselige ab. Obwohl die Breitwand-Kamera immer wieder großartige Kinobilder liefert, bleibt die Haltung des Films nüchtern. Was auch an der beeindruckenden Leistung der Schauspielerin Aylin Tezel liegt, die in »Almanya« schon einmal schwanger wurde und in »3 Zimmer/Küche/Bad« auffiel. Sie zeigt sich hier enorm wandlungsfähig und auch im letzten Teil des Films ohne jede Hysterie, kann von Unbedarftheit auf Nachdenklichkeit umschalten.
Kommentare
Der Himmel so nah
Kommunikation und Nähe sind die Kernelemente dieses Films. Beide sind in aller Oberflächlichkeit gegeben. Als Lara wirklich Hilfe braucht, kommt diese weder von ihrer besten Freundin noch von ihren Eltern. Man redet viel, sieht sich. Gleichzeitig versteht man nicht, erkennt nicht. Lara bleibt allein. Im Schmerz und auf der Beerdigung ihres Kindes.
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